Karlsruhe (epd). "Spiegel Online" durfte ein Manuskript des früheren Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) über die Entkriminalisierung von Sex mit Kindern ohne Erlaubnis in voller Länge veröffentlichen. Denn bei der Veröffentlichung des urheberrechtlich geschützten Aufsatzes handele es sich um eine erlaubte Berichterstattung über Tagesereignisse, urteilte am Donnerstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Beck zeigte sich "erstaunt" über das Urteil. Es weiche in seiner Einschätzung von den Vorinstanzen und der Stellungnahme des Europäischen Generalanwaltes fundamental ab. (AZ: I ZR 228/15)
In dem Text hatte Beck unter anderem für eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern plädiert. 1988 erschien der Aufsatz in dem Sammelband "Der pädosexuelle Komplex". Noch im Mai 1988 rügte Beck, dass der Herausgeber nichterlaubte Änderungen an den Überschriften vorgenommen hatte. Später ergänzte er, dass zentrale Aussagen verfälscht wurden.
Schon 1988 Verfälschungen beklagt
Als dann 2013 der Aufsatz in einem Online-Archiv auftauchte, verschickte der Politiker das Originalmanuskript an mehrere Redaktionen, um die Verfälschungen zu belegen. Er distanzierte sich zudem von seinen früher gemachten Aussagen zur Entkriminalisierung von Sex mit Kindern. Das Originalmanuskript und der Buchbeitrag wurden auf Becks Internetseite veröffentlicht.
"Spiegel Online" berichtete über die Veröffentlichungen und wies darauf hin, dass die zentralen Aussagen in dem Buchmanuskript entgegen der Behauptung Becks nicht verfälscht worden seien. Internetnutzern wurde ein Link angeboten, mit dem Manuskript und Buchbeitrag heruntergeladen und verglichen werden konnten. Eine Verlinkung zu Becks Internetseite gab es nicht.
Beck sah daraufhin sein Urheberrecht verletzt und klagte auf Unterlassung und Schadenersatz. Man dürfe nicht ohne Erlaubnis ein Werk gänzlich veröffentlichen und sich dabei auf das Zitatrecht berufen.
Veröffentlichung war zulässig
Nachdem der BGH das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hatte, entschieden die Karlsruher Richter, dass "Spiegel Online" nicht das Urheberrecht von Beck verletzt hat. Das Nachrichtenportal habe im Rahmen seiner tagesaktuellen Berichterstattung das Originalmanuskript nach dem Urheberrechtsgesetz veröffentlichen dürfen. Die Veröffentlichung sei "verhältnismäßig" und damit zulässig gewesen.
Denn mit der Veröffentlichung sollte der Leser sich ein eigenes Bild über die öffentlichen Behauptungen von Beck machen können. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit habe einen hohen Stellenwert und habe hier Vorrang vor dem Interesse Becks, selbst entscheiden zu können, ob und wie sein Werk veröffentlicht wird. "Spiegel Online" habe auch die gewandelte Meinung Becks zur Strafwürdigkeit des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger nicht verschwiegen, sondern dies zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht.
Der frühere Bundestagsabgeordnete kritisierte nach dem Urteil, dass es für das Gericht keine Rolle gespielt habe, ob das legitime Informationsbedürfnis auch auf anderem Wege - unter Wahrung oder Schonung der Rechte des Klägers - hätten gewahrt werden können. Den Umstand, dass er die Texte auf seiner Website volkerbeck.de veröffentlichte, habe das Gericht zwar zur Kenntnis genommen, ihn aber im Hinblick auf das Informationsinteresse der Presse nicht hinreichend gewürdigt, so Beck: "Dies könnte weitreichende Folgen für die Praxis des Urheberrechts in vergleichbaren Fällen haben."