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Versöhnungskirche, Leipzig, Sonntag, 17 Uhr: "Der Menschensohn muss erhöht werden . . .", sind die ersten Worte, die Pfarrer Stefan Zieglschmid spricht, und hinter ihm steht er: Vier Meter hoch überragt eine Christusstatue die Gottesdienstbesucher*innen. Den rechten Arm in die Höhe gestreckt, den linken Arm nach oben angewinkelt. Es ist Palmsonntag, und wir feiern einen musikalischen Passionsgottesdienst in der Versöhnungskirche in Leipzig. Für eine Weile werden wir in eine andere Welt entführt.
Die "Kleinekantorei" führt Josef Gabriel Rheinbergers "Stabat mater" und Franz Liszts "Via crucis (Die 14 Stationen des Kreuzwegs)" auf. Die Kirche ist sicher auch deswegen an diesem kalten Aprilsonntag um 17 Uhr im Leipziger Norden so voll. Der freundlichen Mitarbeiterin am Empfang gehen um 16.45 Uhr die Programmzettel aus, ich teile mir einen mit einer Mutter und ihrer kleinen Tochter. Wir hören Musik auf höchstem Niveau, und 80 Köpfe gehen nach oben rechts in den Osten, wo auf der Empore neben gutem Gesang herausragende Orgelmusik ertönt.
Nach der ersten Musik spricht der Pfarrer über den Text des mittelalterlichen Gedichts "Stabat mater", dessen Vertonung wir zuvor gehört haben. Zu Christi Zeiten wurden viele gekreuzigt, sein Tod am Kreuz ragt trotzdem heraus. Christus ist für uns gestorben – das bleibt hängen. Sein Tod ist zugleich ein Segen und ein Symbol des Aufbruchs, sagt der Pfarrer, und: "Zu Herzen nehmen sollen wir seinen Tod und unsere Herzen weiten lassen für das Leiden in der Welt." Während der Pfarrer das spricht, geht der Blick auf die heroische Christusgestalt, überhoch und von unten durch versteckte Scheinwerfer in violettes Licht getaucht.
Dann geht das Licht aus, eine Leinwand wird bestrahlt mit den Kreuzwegbildern von Sieger Köder, bekannt durch seine Kinderbibel. Der Chor singt Liszt. Station für Station wechseln die Bilder, und der Pfarrer meditiert mit sonorer Stimme über ihre Bedeutung. Das Wechselspiel aus Musik, Text und Bild lässt die Zeit vergessen. Nach der Meditation singt der Chor "Ave crux, spes unica" und die Gemeinde erhebt ihre Köpfe erneut, nun allerdings nach links, nach Westen – denn von dort erhellt überraschend die Sonne den Kirchenraum und überblendet die Leinwand. Und ganz am Ende, nach kurzen 90 Minuten, verschwimmen Pfarrer und Statue, Kunst- und Sonnenlicht. Ostern ist nicht mehr weit.