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Nachtkantine München, Sonntag, 17 Uhr: Früher wurden hier Kartoffeln zu Pfanni-Knödeln verarbeitet und Motorräder zusammengeschraubt. Heute ist es cool, in den alten Werkshallen am Münchner Ostbahnhof auszugehen. Am frühen Sonntagabend ist nicht viel Partyvolk unterwegs, die "Nachtkantine" hat trotzdem auf. Denn seit einem Jahr laden einmal im Monat Pfarrerinnen und Pfarrer der bayerischen Landeskirche und Studierende hierher zum "Sunday"-Gottesdienst ein. Sie haben Lust am Improvisieren und wollen die Zwanzigjährigen erreichen – dort, wo die auch sonst hingehen.
Claudia Keller
Die Nachtkantine ist in schummriges blau-grünes Licht getaucht, auf den Kneipentischen leuchten Kerzen. Viele der 50 jüngeren und wenigen älteren Semester bestellen sich zum Aufwärmen vom Schneesturm draußen erst mal einen Tee an der Bar, andere ordern gleich ein Bier.
"Lord blessed be your name" spielt die Band, die Sängerin im roten Kleid trifft anfangs nicht jeden Ton, später groovt sie sich ein. Sie ist eingesprungen für eine Studentin, die für eine Prüfung pauken muss. Die Texte werden mit Beamer an die Wand geworfen. Nur wenige singen mit. Macht nichts, so wird es ein meditativer Abend, was gut passt, um das Wochenende ausklingen zu lassen.
Nur Gott kennt die Wahrheit
Der klassische Gottesdienstaufbau mit Schuldbekenntnis, Lesung, Predigt, Fürbitten, Vaterunser und Segen ist gut zu erkennen. Aber es geht lockerer zu. Diakonin Judith Amend-Knaub und Pfarrer Norbert Roth haben die Talare zu Hause gelassen, sie wechseln sich ab und lassen den Gästen Zeit zum Nachdenken. Wo war ich nicht ehrlich? Vor welcher Einsicht drücke ich mich? Denn es geht um die Wahrheit an diesem Abend. Studentin Julika Salb spielt ein Video ein, in dem sie junge und alte, fröhliche und traurige Menschen zeigt: Wahrheit ist bunt. Diakonin Amend-Knaub erzählt von ihren Zweifeln, Pfarrer Roth spricht darüber, wie entlastend es ist, nicht perfekt sein zu müssen. Es gibt ein bisschen Bibelkunde und die klare Botschaft: Das Wissen der Menschen ist begrenzt. Die Wahrheit kennt nur Gott.
Abendmahl wäre schön. Aber das auffällige christliche Ritual traut das Sunday-Team den Gästen in der Nachtkantine noch nicht zu. Rotwein gibt es trotzdem. Schließlich heißt es "In vino veritas", sagt Diakonin Amend-Knaub und fordert auf, die Fläschchen auf den Tischen zu öffnen. Später bestellen viele Pizza zum Wein.