Kirchgang - Wo die Kuhglocken läuten
Kirchgang - Wo die Kuhglocken läuten
Claudia Keller
Wo die Kuhglocken läuten
Tim Wegner
26.10.2018

Gindelalm, Sonntag 11.30 Uhr: Eine Stunde und 45 Minuten dauert der Aufstieg zur Gindelalm, so steht es am Bahnhof von Schliersee. Der Waldboden federt unter den Bergschuhen, es riecht moosig und nach nassem 
Laub. Der Weg führt mal sanft, mal ­steiler bergauf, es ist einsam und still. Das ist schön, doch wo sind die Leute von der evangelischen Cantate-­Gemeinde aus Kirchheim bei München, die um 11 Uhr einen Berggottesdienst feiern wollen?

Die Alm liegt auf einem Bergsattel in 1242 Metern Höhe, eingebettet in sattes Grün. Auf der Wiese warten Bierbänke auf die evangelischen Christen. Doch wo sind sie?
Da winkt es von einem steilen Berghang herab. Ute Heubeck, die Pfarrerin, hat sich verlaufen. Es ist ihr erster Berggottesdienst. Sie ist ein bisschen geschafft und gut gelaunt, mit ihr 
zusammen kommen die Gemeindemitglieder. Sie holen ein Tuch, ein Holzkreuz und Kerzen aus den Rucksäcken und ver­wandeln den Biertisch im Nu in einen Altar. Die Pfarrerin zieht sich den Talar über, der Posaunenchor packt die Instrumente aus, und los geht’s. "Morgenglanz der Ewigkeit" singen die Christen mit geröteten Wangen und schauen auf die Gipfel gegenüber.

Tim Wegner

Claudia Keller

Claudia Keller ist Chefredakteurin von chrismon. Davor war sie viele Jahre Redakteurin beim "Tagesspiegel" in Berlin.

Man könnte eine Predigt über die ­Erhabenheit der Berge erwarten oder etwas über die Bewahrung der Schöpfung. Ute Heubeck hat einen erfrischend anderen Dreh gefunden und spricht über Menschen, die hoch hinaus wollen – und tief stürzen können. So wie der Prophet Elia. Er hat die Priester des ­gegnerischen Baal-Kultes im Kampf­beten besiegt. Aber das reicht ihm nicht. Er will für ­seinen Gott den ultimativen Triumph erzielen. Doch dann befallen ihn schwere Depressionen. Die Pfarrerin erzählt sein Schicksal auf eine Art, dass man leicht Verbindungen zu lebenden Menschen ziehen kann, die in ihrem Ehrgeiz jedes Maß verlieren, zu eitlen Poli­tikern wie Donald Trump oder recht­haberischen Chefs.

Gott ist da, wo wir die Stille wahrnehmen

Gott sorgt für Elia auch in der Krise, auf leise Art, und Elia erkennt, dass Gott kein Triumphgeschrei braucht. Er zeigt sich im Kleinen und Alltäglichen, dort, wo die Dinge gut und vor allem menschlich geordnet werden. "Vielleicht ist Gott da, wo wir Stille wahrnehmen und die leisen Töne hören und auch die Zweifel", sagt Ute Heubeck. Am Ende des Gottesdienstes kommt die Sonne raus, Kuhglocken läuten, und zwei Radler steigen ab und singen mit bei "Möge die Straße uns zusammenführen". Als Zugabe gibt es Swing und 
in der Almhütte Weißwürste und Kaiserschmarrn.

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