Die Schlosskirche in Wittenberg
Foto: Uwe Birnstein
Heldengedenken war gestern
Maren Kolf
18.09.2016

Bewertung

Liturgie
4
Predigt
4
Musik
4
Atmosphäre
4

Apfelgelee im Kirchenlied – und das in der altehrwürdigen Schlosskirche? Das Gelee ist samt Kaffeeduft in einer Neudichtung des Liedermachers ­Gerhard Schöne erwähnt; „Die güld’ne Sonne“, auf Frühstück getrimmt, ist das Eingangslied. Die frisch entstaubte Ladegastorgel prustet lautstark durchs Kirchen­schiff, die Bänke sind immerhin halb besetzt. Alles gut, oder?

Na ja. „All eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch!“, liest ein Mann vor. Sorgen? Irgendwie wirkt das de­platziert in dieser wohlausgestatteten ­Kirche, bei Gottesdienstbesuchern, die nicht aussehen, als seien sie gemeint. Als müssten sie sich um Kleidung oder um das Essen für den nächsten Tag ­sorgen. 

Paul Gehardts Trost

Schon steht der freundliche Pastor auf der Kanzel, auf Augenhöhe mit Martin Luther, Philipp Melanchthon und sieben anderen Reformatoren, und direkt gegenüber von Johannes Bugenhagen. „Das ist tröstlich“, sagt der Pastor, „wenn die Gemeinde pennt, einer sieht mich immer an!“ Die Leute schmunzeln. Dann kommt der Pas­tor zu den Sorgen. Die Vögel sorgen sich nicht, heißt es im Predigt­text – ja, aber er habe vor kurzem ein aus dem Nest gefallenes Schwalben­junges gesehen. Sich nicht zu sorgen bedeute nicht, dass man unbeschadet durchs Leben komme. Am Ende erzählt er von Paul Gerhardt, der ganz in der ­Nähe lebte: Dessen Frau war in tiefster Trauer um zwei verstorbene Kinder. Paul Gerhardt habe sie mit dem Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ getrös­tet. Das stimmt die Orgel dann auch an. Kräftiger Gesang, die Sonne taucht die Kirche in sanftes Sommerlicht.

Alter Luther in neuer Melodie

Ein Mann im Anzug tritt ans Mikro. Die Schlosskirchengemeinde sei klein, sagt er, aber die Kirche habe sehr, sehr viele Besucher. Deshalb habe die Wittenbergstiftung 17 Männer und Frauen zu Kirchenführern ausgebildet. Einzeln ­werden sie nach vorne gerufen und eingesegnet. Die Gemeinde singt ihnen zum Dank „Swing Low, Sweet Chariot“. Da schnipsen die Finger des Pastors, und mancher Fuß wippt verstohlen mit. 

Auch das Abendmahl im großen Kreis wirkt locker. „Verleih uns Frieden gnädiglich“ ist das Schlusslied – vom alten ­Luther, der hier viel gilt, aber in neuer Melodie und etwas mühsam zu singen. Das Zeichen ist aber schön: Was Luther begonnen hat, wird weiterentwickelt. Stillstand und Heldengedenken waren gestern. Das ist doch mal eine gute Botschaft aus einer der Hauptkirchen der Reformation. 

Zur Gemeinde

Kontaktinformationen der Gemeinde
Schlosskirche
Schlosspl. 1
06886 Lutherstadt Wittenberg
Pfarrer Stefan Günther, Dozent am Ev. Predigerseminar
Superintendent Christian Beuchel
Telefon: 03491/505348
E-Mail: buero.propst.wbg@t-online.de
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