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„Sex-Gottesdienst!“, kündigte die „Bild“-Zeitung an, „Pfarrer spricht von Poppen und Ficken!“, so die „Frankfurter Rundschau“. Die Aussicht auf Rosenblätter, die von der Empore regnen, zieht die Kirchgängerin an diesem Morgen in den „erotischen Gottesdienst“ nach Mainz-Kastel. Natürlich auch Neugierde.
Es ist ein warmer Sommertag, die Nacht war lau. Das Thema passt schon. So viel vorweg: Trockene Rosenblätter waren es dann, nicht taufrische, wie die Kirchgängerin erhoffte. Auch sonst ist nicht allzu sinnlich, was einen in dem modernen Bau mit den hellgrauen Betonwänden erwartet. Alle Bänke sind besetzt, vor allem mit älteren Leuten, etwa 200 insgesamt. Pfarrer Ralf Schmidt folgt dem vertrauten Gottesdienstablauf, Predigt mit klarer Botschaft (Sexualität ist gottgewollt. Genießen wir sie!) und spricht die Gemeinde freundlich an, von „Poppen“ keine Rede. Trotz Rundtanzes der Seniorinnen, trotz Salbung und Titanic-Liebesliedes auf der Orgel: Es ist ein ganz normaler protestantischer Gottesdienst. Mit der Chance, dass sich die Beteiligten öffnen – für Gott und einander.
Genau das geht aber heute nicht. Überall Presse. Fernsehkamerateams rechts und links der Bankreihen, sieben hochgerüstete Fotografen auf Motivsuche, die sich an der Empore postieren wie Heckenschützen und, die Kamera an der Brust, gebückt vorne entlang huschen. Mindestens so viele Reporter auf den Bänken.
Wird gesungen, schreiben sie auf Notizblöcke. Wird gebetet, lassen sie die Augen umherschweifen, beobachten die Gesichter. Manche gähnen gelangweilt. Es stört, wie sehr ihr Anliegen den Gottesdienst dominiert. So wie eingeblendete Lacher in einer Sitcom anzeigen, wenn es lustig wird, geben die Kameras bei jeder Szene eine Wertung ab: anschwellendes Klicken – gutes Motiv. Stille – uninteressant. Schade, offenbar gab es keine Absprachen über mögliche Dreh und Fotografierpausen oder über Mindestabstände. Beim Abendmahl rücken die Kameras ganz nah an die Gesichter heran. Es spricht für ihr gutes Verhältnis zum Pfarrer, dass dennoch viele Gottesdienstbesucher nach vorne kommen. Er lässt sich nicht erkennbar vom Medienrummel irritieren, bleibt freundlich und bei seinem Thema. Das verdient Hochachtung.
Andererseits: Störungen haben Vorrang, heißt es in der Pädagogik. Indem Pfarrer Schmidt gar nicht auf das reagiert, was hier noch neben der Liturgie passiert, nimmt er der Feier viel von ihrer Lebendigkeit.
Zur Gemeinde
Erlösergemeinde Kastel
Pfarrer Ralf Schmidt
Paulusplatz 5
55252 Mainz-Kastel
Telefon: (06134) 22 16 9
Fax: (06134) 6 33 90