Ein Dach mit Menschen in Rotterdam
Ein Dach mit Menschen in Roterdam
Frank Hanswijk
Obenstadt - Leben auf den Dächern der Stadt
Auf die Dächer
Flache Dächer gibt es in fast jeder deutschen Stadt. Die meisten von ihnen sind ungenutzt. Das soll sich jetzt ändern. Wie? Das wissen Lanschaftsarchitektin Antje Stokman und Dachkuratorin Katrien Ligt
Tim Wegner
07.04.2022

Alle Welt klagt über Platzmangel in deutschen Städten. Über zu wenig Freiflächen, zu wenig Grün, zu wenig Kreativität und Buntheit in der Beton- und Steinwüste. Dabei liegen in vielen Städten so viele ungenutzte Quadratkilometer brach.

Wir müssen unseren Blick nur etwas nach oben richten und uns selbst aufs Dach steigen. Von da oben sieht die Welt anders aus. Der weite Blick und nur der Himmel über uns – das macht etwas mit uns. Wir alle hatten wohl schon ähnliche Erlebnisse.

In Hamburg, an der Hafencity Universität, traf ich diese Woche zwei Frauen, die mit an der Spitze einer sich ausweitenden Dach-Bewegung stehen. Die Landschaftsarchitektin und Professorin Antje Stokman und die holländische Dachkuratorin Katrien Ligt.

Sie beide engagieren sich seit Jahren dafür, dass in den deutschen Nachkriegsstädten mit seinen vielen Flachdächern zumindest ein paar von diesen dauerhaft öffentlich genutzt werden können. Katrien ist gerade dabei, einen Verein zu gründen: obenstadt e.V, heißt er passend. Das erste Ziel ist schon formuliert: Öffentliche Dachtage für Hamburg im September diesen Jahres. In anderen Städten ist man noch weiter: Chemnitz, europäische Kulturstadt 2025, gehört zu den Gründungsmitgliedern eines europaweiten Netzwerkes für kreative Dachnutzung.
 

Festival für alle statt Rooftopbar für wenige

Dass Dächer hipp und cool sind, ist nichts Neues. Von der Rooftop-Bar zur Skyline Lounge bis zum Infinity-Pool reicht die Bandbreite schicker Locations-Beschreibungen und für den überhitzten Wohnungsmarkt hierzulande gilt: Selbst zwei mickrige Quadratmeter Dachterrasse reichen aus, und die Preise steigen ins Schwindelerregende.

Antje und Katrien finden das langweilig. Dächer können so viel mehr sein, als Rückzugsorte für eine Elite. Auf Dächern können Konzerte stattfinden oder Tanzveranstaltungen. Sie können bepflanzt und begrünt werden und so das Klima positiv beeinflussen. Wer das Dach eines Gebäudes öffentlich nutzt, gibt der Öffentlichkeit zurück, was durch den Bau des Hauses im wahrsten Sinne des Wortes zugeschüttet wurde: Raum, Fläche, Licht und Luft.

Dächer und alte Bahngleise

Katrien erzählt von historischen Vorbildern. 1899 wurde in London der Paradise Roof Garden auf den Dächern zweier Theater eröffnet. Die Luft im Theaterraum war immer stickig, also baute man auf dem Dach eine Art Freilufttheater. Ähnliches gab es auch in New York. Mit der Erfindung von Klimaanlagen endete diese erfindungsreiche Phase.

Dachkuratorin Katrien Ligt (links) und Landschaftsarchitektin Antje Stokman sind überzeugt davon: Auf deutschen Dächern, da geht mehr

Der Architekt Le Corbusier plante hoch oben auf seinem riesigen Wohnblock in Marseille einen Spielplatz und einen Pool für die Bewohnerschaft. Noch heute wird alles genutzt und Touristen kommen zum Gucken. 

Katrien ist auch in Rotterdam aktiv. Im Juni finden dort wieder die „Dakentagen“ statt. Über 20 große Dächer werden dieses Jahr öffentlich zugänglich sein, auch Brücken zwischen den Häusern sind geplant. Längst geht es nicht mehr nur um singuläre Dächer, es geht um Verbindungen und Wege, um Parks und große Grünflächen. So wie bei der HighLine in New York, dem wohl wichtigsten Booster der Neuzeit in der Geschichte der Eroberung brachliegender Flächen oberhalb des immer enger werdenden städtischen Grunds.

Das Sicherheitsargument wird zur Bremse

„Überall, wo wir hinkommen“, so berichtet es Antje „stoßen wir auf Begeisterung und offene Türen.“ Doch gerade Menschen, die diese Flächen zwar besitzen, doch noch nie oben waren, können sich kaum vorstellen, was dort alles möglich ist. Und die Verantwortlichen in den zuständigen Behörden sorgen sich um die Sicherheit der Menschen in hoher Höhe. Antje und Katrien wissen: So lange es keine Best-Practice-Beispiele gibt, wird das Sicherheitsargument  zur Bremse.

In Rotterdam sammeln die Organisator*innen Jahr für Jahr neue Erfahrungen. Wie hoch muss eine Abgrenzung sein, damit die Sicherheit von Menschen, die das Dach besuchen, gewährleistet ist? Wie kommen sie rauf und runter? Was ist nötig an Service, Infos und Support?

Für all dies braucht es Erfahrungen und Expertise. In Rotterdam wächst sie stetig. Für die „Obenstadt“ Hamburg hofft Katrien auf ähnliche Erfahrungen. Denn, Antje bringt es noch mal auf den Punkt: „Das Dach muss für alle da sein.“

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Die Welt verändern mit flachen Dächern! Wieder eine Superidee als ein bunter Hahn für die städtische Zukunft. Vor 2 Jahren noch sollten die Landlust-Gäubigen als Kleingärtner den täglichen Blumenkohl ernten. Bis man merkte, dass diese Blase aus Seifenschaum zu schnell platzt. Jetzt auf die Dächer ihr verwöhnten Apostel! Schon gemerkt, dass der Wasserbedarf solcher Kulturen um ein Vielfaches höher ist? Wasser was in Mangelgebieten (auch Spanien!) dringend zum Trinken gebraucht wird? Ausserdem entsteht für alle Pflanzen durch die enormen Temperaturschwankungen (von tagsüber 50 Grad an Oberflächen und nachts um 10 Grad) und dem fehlenden Boden-Wärmepuffer ein biologischer Stress, den nur wenige Pflanzen aushalten können. Ist das Dach dann defekt (auch Teer ist nicht unverwüstlich) sind die Wohltäter der Dächer nicht mehr findbar. Wären alle für das verantwortlich was sie empfehlen, wären alle Phantasten am Boden zerstört.

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Liest man all die schönen Vorschläge, kann einem grün vor Ärger über das eigene Versagen werden. Nur wo wird in den grünen Oasen eigentlich gearbeiten?. Lebt man dort in den Oasen auf den Dächern der stillen, schönen alte Welt? Die Neue Welt sieht ganz anders aus. Wenn man vor lauter CO2-Scham nicht in den Urlaub fliegt, sieht man ja auch nicht die Megazentren, in denen eine Strasse 25 Reihen-Hochäuser mit 40 Tsd Einwohner hat. Mittelstädte mit 4 Mio. Einwohner auf 1/3 Fläche von Berlin. Wir haben 240 EW pro Qkm. NL 426, Indien 433, Ruanda 533, Palästina 870 u. Bangladesh 1350. Und dann kommen Sie mit grünen Balkonkästen, von denen jeder einzelne täglich soviel Wasser benötigt, wie dort viele nicht trinken können. Die Diskussion in dieser schönen grünen protestantischen Wohlfühloase geht meilenweit an den Realitäten vorbei

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Liest man all die schönen Vorschläge, kann einem grün vor Ärger über das eigene Versagen werden. Alle schönen Wünsche setzen Menschen als geklonte "Brüder" voraus. Idealpersonen mit den gleichen guten Eigenschaften in einer Phantasiewelt. Es ist verantwortungslos, diese Scheinwelt weltweit als möglich hinzustellen. Wo wird in den grünen Oasen und irdischen Paradiesen eigentlich gearbeiten?  Die Neue Welt sieht ganz anders aus. Wenn man vor lauter CO2-Scham nicht in den Urlaub fliegt, sieht man ja auch nicht die Megazentren, in denen eine Strasse 25 Reihen-Hochäuser mit 40 Tsd Einwohner hat.

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Traurig ist bei allen Weltrettern, dass sie, nicht nur bei uns, alle weltweiten gesellschaftlichen Veränderungen total ausblenden. Vergessen die Immer grösser werdenden Unterschiede zu anderen Ländern. In ARTE ein Bericht über China und man ist entsetzt, was dieser städtebauliche "Fortschritt" mit all den Monumentalbauten und Siedlungen auch für uns letztlich bedeuten wird. Wir sind dagegen das NICHTS. Und Indien und die Megazentren in Afrika sind auf der Warteliste. Die christliche Evolutionstheorie, wonach wir ungestraft immer mehr werden dürfen, steuert auf einen Kollaps zu. Nichts gelernt, obwohl doch BABEL eine der wenigen biblischen Weisheiten ist, die wie Leben und Tod unabänderlich ist. Es ist ein Dilemma!!! Da wird der Fortschritt in Pharmazie und Lebenserwartung als Vorteil gefeiert, aber ausgeblendet, dass sich damit die Vorteile der Zivilisation gegen sich selbst wenden. Denn BABEL ist spätestens dann erreicht, wenn Rohstoffe zu wenig, die Gase zuviel und das Leben zu lang (Altersheime!) geworden ist, um die Probleme zu steuern. Da könnte die Frage der Energie zweitrangig werden. Dazu aber von unseren religiösen Wertewächtern kein Wort, kein Zeichen der Verantwortung. Verantwortung bedeutet auch, vor Gefahren zu warnen, neue Werte und Regeln für die Zukunft zu fordern die Weltgemeinschaft darauf einzustimmen. Nichts von dem (Werte!) geschieht. Platt, polemisch aber auf den Punkt: Für ROM gilt nur die nächste Papstwahl, Kasse und Folklore. Die Evangelen freuen sich aufs ewige Leben. Mit schönen Worten und hohen unerfüllbaren Erwartungen (alle Menschen sollen ab sofort besser werden, alle vegan, keine Gewalt) Hoffnung machen, ist ein Spiel, dem niemand widersprechen möchte. Wer damit "sein Geschäft betreibt", ist unrealistisch. Sträflich! MfG Ockenga

Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.