Lena Uphoff
15.11.2010

Meine Großmutter ist schon lange tot, meine Mutter lebt auch nicht mehr, und jetzt geht es Fidel Castro sehr schlecht. Dafür gibt es einen neuen Batista, diesmal mit dem Beinamen "the animal". Und es gibt "the Undertaker" (der Bestatter). Das ist ein weit über zwei Meter großer Kerl mit langen fettigen Haaren, der die Augen bei seinen öffentlichen Auftritten grundsätzlich so verdreht, dass man nur noch das Weiße darin sehen kann.

Fidel Castro geht es sehr schlecht. Dafür gibt es "the Undertaker" mit fettigen Haaren

Die Nachrichten vom sterbenskranken "Maximo Líder" aus Havanna, der einst mit seinen Guerilleros den Diktator Batista von der Zuckerrohrinsel vertrieb, erinnerten mich an ein Geschehnis aus der Zeit, als ich wie jetzt mein Sohn an der Schwelle zur Pubertät stand. Ich hatte - wie viele - in meinem Jugendzimmer das Poster des in Bolivien erschossenen Castro-Kameraden Che Guevara hängen, ein Porträt, schwarz stilisiert, auf rotem Grund. Doch Che, der mythische Kämpfer, konnte ich in unseren nachmittäglichen Zügen durch Wald und Flur nicht sein. Che war mein Freund Jürgen. Der Jürgen, das musste ihm der Neid lassen, sah dem Comandante Guevara tatsächlich ein wenig ähnlich, hatte lange, lockige schwarze Haare, war der kommende Latin Lover unserer Schule.

Ich war Tom Sawyer, Old Shatterhand und nun wurde ich Fidel Castro

Jürgen und ich spielten seit der Grundschule gemeinsam im Wald und immer in Doppelrollen. Wir waren Tom Sawyer (ich) und Huckleberry Finn (er) gewesen, Winnetou (Jürgen) und Old Shatterhand (Arnd). So wurde aus mir nun Fidel. Und ich bemühte mich all dem nahezukommen, was ich von ihm wusste. Ich zündete mir unter Hustenanfällen Havanna-Zigarren an, hielt laustark und theatralisch lange Reden und trug eine grüne Armeemütze. Und neben Che pinnte ich über mein Bett ein riesiges Poster von Castro, das ich in der revolutionären Buchhandlung unserer kleinen Universitätsstadt gefunden hatte. Es gab nur ein Exemplar davon. Che-Plakate waren in großer Zahl vorhanden.

Meine Castro-Verehrung amüsierte Vater und ärgerte Mutter.

Aber je mehr sich Papa über den "aufgeblasenen Kerl" lustig machte und mir Mama die totalitäre Gesinnung meines Idols zu beweisen versuchte, desto trotziger hielt ich an ihm fest. Unser Streit eskalierte, als Oma zu Besuch kam und in meinem Zimmer schlafen sollte. Eine Woche lang lag mir Mutter in den Ohren: "Du hängst diese grauenhaften Poster ab, bevor Oma kommt! " Ich widerstand: "Auf keinen Fall. In meinem Zimmer bestimme ich." Als Oma ihren Koffer vor meinem Bett abstellte, grinste ihr Fidel triumphierend entgegen, während Che an ihr vorbei in die Ewigkeit blickte. "Es tut mir leid, Mutter", fauchte Mama, "aber er hat sich geweigert, diese schrecklichen Gestalten verschwinden zu lassen." Oma betrachtete schweigend die ihr sichtlich unbekannten Kämpfer. Dann murmelte sie knapp: "Hauptsache keine nackerten Weiber", wuchtete den Koffer aufs Bett und begann auszupacken. Thema erledigt. Und ein paar Monate später verschwanden Fidel und Che, wurden gegen Jimmy Hendrix und Bob Dylan ausgewechselt.

"Hauptsache keine nackerten Weiber"

Der Batista, der das T-Shirt meines Sohnes ziert, ist nicht der Feind Castros, sondern ein amerikanischer Wrestler, ein Muskelberg voller Tätowierungen. Und der "Undertaker", dessen Poster an Merlins Zimmertür hängt, geht demselben Beruf nach. Die Kämpfe der Wrestler sind gewaltige, vorher abgesprochene Inszenierungen. Die Herren vermöbeln sich scheinbar bis jenseits aller Schmerzgrenzen unter dem tausendfachen Gejohle ihres Publikums, stehen auf, als sei nichts gewesen, und fangen von vorne an. Wrestling ist kein Sport. Und die Kolosse sind mir denkbar unsympathisch.

Neulich habe ich mich in eine völlig überflüssige Debatte mit meinem Sohn verstrickt. Ich habe ihm zu erklären versucht, dass diese Kloppereien völlig hohl und idiotisch seien und dass man solche Typen besser wegsperre als verehre. Da fiel mein Blick auf die Tageszeitung mit einer Meldung von Castros Krankheit. Unvermittelt fragte ich meinen Sohn: Wer bist du? "Batista", antwortete er, "und Sebastian ist der Undertaker." Venceremos! 

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