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Ich wusste, dass diese Zeit kommen würde. Die Zeit, in der aus Kindern Leute werden. Meine älteren Freunde haben mich vorzubereiten versucht. Herbert zum Beispiel hatte mir an einem sommerlichen Nachmittag - noch immer krebsrot im Gesicht im Stakkatostil berichtet, wie es sich angefühlt hatte, als er zum ersten Mal in zwei Sätzen glatt und schnörkellos beim Tennis gegen seinen 14-jährigen Jan verlor. Es war gerade zwei Stunden her. Herbert war körperlich erledigt auf den Terrassenstuhl gesunken. "Unglaublich", japste er. Jan kam pfeifend herbei, keine Spur von Anstrengung auf den Wangen, und klopfte seinem Vater anerkennend auf die Schulter: "Gut gekämpft, Daddy." Es klang in meinen Ohren ein wenig gönnerhaft. Aber Herbert lächelte dankbar zurück. "Danke, mein Sohn."
"Gut gekämpft, Daddy."
Mein Zwölfjähriger hat mir vor einer Woche eine Lektion an der Tischtennisplatte erteilt. Nein, ich hatte ihn nicht gewinnen lassen. Diesmal nicht. Ich, der Schnibbelkünstler, hatte ihn so oft spüren lassen, dass es bei diesem Sport - zumindest auf Dilettantenniveau - möglich ist, den überlegenen Angreifer mit ein paar Tempowechseln außer Tritt zu bringen. Darauf hatte ich mich auch diesmal verlassen. Doch in diesem Spiel lief alles anders. Merlin nahm mich auseinander. Die geblockten Bälle haute er mir trocken und platziert um die Ohren. Die fiesen Angaben kamen lang und flach zurück - ich schlug die Antwort ins Netz. Und dann fragte er nach dem zweiten gewonnenen Satz auch noch: "Du spielst doch richtig? Du strengst dich doch an?" Sah er das denn nicht? Hörte er nicht, wie ich mit meinem Schicksal haderte? Ich hatte einfach keine Chance mehr gegen ihn.
Und dann überkam mich dieses seltsame Gefühl, diese Mischung aus Schmerz und Stolz, wie sie aus Herberts Worten im Sommer zu vernehmen gewesen war, als er abgekämpft "Danke, mein Sohn" gesagt hatte. Die Zeit der Niederlagen gegen den eigenen Nachwuchs rötet den Horizont früher, als man glaubt. Gerade war man noch Trainer und Berater gewesen, hatte kundig Anleitung gegeben, Tipps und Tricks geraunt - ganz Güte und Besonnenheit. Und dann steht man an der Tischtennisplatte oder sitzt hinter dem Schachbrett und wird vorgeführt.
Große Väter sind am Ende großmütige Verlierer
Zunächst mag man es nicht wahrhaben. "Das ist ganz normal", tröstete mich Herbert, "so fühlt sich altern nun mal an." Und es scheint ja tausend gute Gründe zu geben, die Regel zur Ausnahme zu erklären: eine alte Zerrung beim Sport, mangelnde Konzentration durch beruflichen Stress, die zum Schachmatt führt. Aber Derartiges zu äußern, verrät tatsächliche Schwäche: Das kindische Festhalten am Glauben von der anhaltenden Überlegenheit. Eines Vaters ist das unwürdig. Die Niederlagen einstecken - in Würde - ist unsere Chance, zu neuer Größe zu gelangen. Große Väter sind am Ende großmütige Verlierer.
Ob es mir auf diesem Felde gelingen wird, meinen eigenen Vater zu übertreffen, weiß ich noch nicht. Er war ein großartiger Verlierer. Großartig, weil er tatsächlich kämpfte, sich gegen die unabwendbaren Niederlagen in Sport und Spiel bis zuletzt auflehnte, mich nicht gewinnen ließ. Weshalb die Siege nicht schal schmeckten. Großartig, weil er den Schmerz des Ergebnisses durch seine Freude über meine Leistung schimmern ließ. Großartig, weil er kein Gedöns um meinen Erfolg machte, sondern schlicht anerkannte, dass die Zeit dafür gekommen war. Großartig, weil er mich seine Liebe spüren ließ, die völlig unabhängig davon blieb, wer die Oberhand in einem spielerischen Vergleich behielt.
"Verlieren gegen eigene Kinder"
So gesehen messe ich mich noch immer an meinem lange verstorbenen Vater. Ich möchte meinem Sohn mindestens ein ebenso guter Verlierer werden, wie er mir einer war. Und dafür muss ich noch einiges tun. Lebte er noch, könnte er mir Tipps geben und Tricks verraten, wie man das schafft. Ich könnte sie gut brauchen. Denn in der Disziplin "Verlieren gegen eigene Kinder" bin ich, wie zu lesen ist, blutiger Anfänger. "Das wird schon. Das kommt schon noch", höre ich meinen Vater sagen.