Du machst keinen Fußballer aus dem Jungen!
Ich habe mir insgeheim gewünscht, einen Fußballfreund zum Sohn zu haben
Lena Uphoff
15.11.2010

Klar, war ich schuld! Warum musste sich unser Sohn für das erste Referat seines Lebens ausgerechnet das Thema "Fußball" aussuchen? Warum konnte es nicht "der Igel" sein, "das Pferd" oder "Bäume"? "Ein Riesenthema", murrte meine Frau, "warum hast du es ihm nicht ausgeredet? Wie soll er das denn bewältigen?" Ein tolles Thema widersprach ich. Und außerdem: Gibt es etwas, was der Junge inniger liebt als Fußball? Ich werde ihm helfen. "Du?" Sie kennen diese Frage, der ein vorwurfsvolles Schweigen folgt.

Sie kennen diese Frage, der ein vorwurfsvolles Schweigen folgt.

Du bist doch nie da, sagte die Stille. Zumindest dann nicht, wenn der Bub sein Referat vorbereitet. Was mit dem wieder vernehmlich gesprochenen Zusatz bekräftigt wurde: "Ich jedenfalls werde ihm nicht helfen können! Von Fußball habe ich keine Ahnung!" Wo eine Mutter Recht hat, hat sie Recht. Keine Ahnung hat sie!

Von Fußball versteht sie wirklich nichts, wollte sie nie etwas verstehen. Alle Einladungen zu romantischen Fernsehabenden bei einem Glas Rotwein und drei Stündchen Champions League lehnte diese Frau stets ab. Nur bei WM-Endspielen mit deutscher Beteiligung machte sie Ausnahmen, vier in zwanzig Jahren.

Als der Sohn geboren wurde, sprach seine Mutter zu mir: "Du wirst keinen Fußballer aus ihm machen! Er wird einen weniger primitiven Sport betreiben. Judo, Tennis oder Schwimmen." Als unser Kleiner laufen lernte, begann er ­ ohne mein Zutun! ­ augenblicklich gegen jeden Ball zu treten, der ihm vor die Füße rollte. "Das machen alle Kinder", behauptete unser Kinderarzt tröstend und wider besseres Wissen, "das wächst sich aus."

"Das sind die Gene"

Tat es nicht. "Das sind die Gene", kommentierte Oma knapp. "Von unserer Seite kommen die nicht", antwortete die Schwiegertochter. Womit die Schuldfrage eindeutig beantwortet war. Sohnemann kickte. Gegen alles, was sich dadurch bewegte. Immer und überall. Das nervte meine Frau so sehr, dass sie den Dreijährigen im Fußballclub anmeldete, um diese Leidenschaft zu kanalisieren. Heute ist er acht Jahre alt, Mittelstürmer der F-Jugend und trainiert zwei Mal pro Woche im Verein. Jede Pause in der Schule, jede freie Minute des Tages wird für Spielpraxis genutzt. Im Garten steht ein Tor (von meiner Frau angeschafft), im Schuppen, zwischen den Hecken und Blumenbeeten liegen gewöhnlich mehrere Bälle. Die Welt dieses Drittklässlers ist ein unbefristetes Fußballtrainingslager. Mit den Kumpels oder mit Papa spielt er an der Playstation die Fußballsimulation "Fifa 2003". Natürlich haben wir die "Wilden Kerle" (fußballverrückte Jungs) im Kino angeschaut und das "Wunder von Bern". Selbst der Titel der aktuellen Gute-Nacht-Lektüre verheißt keine Überraschung: "Fußballgötter fallen nicht vom Himmel".

Ich gebe es zu: Ich habe mir insgeheim gewünscht, einen Fußballfreund zum Sohn zu haben. Immer wieder diskutieren wir, wer der beste Torwart, der beste Trainer, der beste Stürmer der Welt ist. Das macht Spaß. Die Begleitung der F-Jugend des WSC zu ihren Spielen am Wochenende empfinde ich eher als Freude denn als Belastung. Dass mir mein Gesprächspartner neuerdings morgens die wichtigste Informationsquelle streitig macht, den Sportteil der Zeitung, nehme ich indesssen nur schwer hin.

Ich habe mir insgeheim gewünscht, einen Fußballfreund zum Sohn zu haben

Das Referat ist übrigens gut gelaufen. Der Fußballer hat vor der Klasse über die richtige Schusstechnik gesprochen, die Geschichte seines Lieblingssports erzählt, über die Regeln referiert. Er hat sich eine rote und eine gelbe Karte gebastelt und mit Papa einen archaischen Stoffball hergestellt. Mama hat zwei Nachmittage im Internet recherchiert. Sie weiß jetzt, dass Gerd Müller in 62 Länderspielen 68 Tore schoss, und hat somit den Grundstein für ein solides Fußballwissen gelegt. Und irgendwann (ich trau mir kaum, es zu hoffen) werden wir es uns zu dritt bei Fußball im Fernsehen gemütlich machen.

 

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