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Die Sehnsucht der älteren Leute – überall auf der Welt – heißt: Es möge doch bitte alles so bleiben, wie sie es stets gewohnt waren. Nostalgisch sitzen Mary und John so vor ihrem CD-Player – und neuerdings sogar wieder vor dem Vinyl-Plattenspieler – und hören Bob Dylan zu: „The Times They Are A-Changin.“ Ja, das haben sie damals gesungen, in der guten, alten Zeit.
Da können Inge und Fred nur bestätigend nicken. Sie waren in der Anti-AKW-Bewegung aktiv, sie nahmen an der Besetzung Gorlebens teil und protestierten gegen das Parteiensystem, indem sie die sogenannten Grünen wählten. Was waren das doch noch für schöne und lichte, „werthaltige“ Ideen und Gedanken, wie sie etwa in den Liedern von Walter Mossmann hörbar wurden.
Und jetzt? Der eine Sohn wählt AfD, der andere geht gar nicht zur Wahl und ist „Businessman“. Fast so schlimm wie „Banker“, was in ihren Kreisen dereinst eines der schlimmsten Schimpfworte war. Und die Tochter? Hilft „ehrenamtlich“ – „versteht das Wort heute überhaupt noch jemand?“ – diesen jungen Syrern. Sie würde von den Kerlen nicht begrapscht, hat sie den Eltern mehrfach erzählt. „Glück gehabt.“
Er hat ihn sich aus dem Internet runtergeladen
Und Jacqueline? Nein, Marine Le Pen würde sie „niemals“ wählen. Aber Angst habe sie auch vor den vielen Fremden, spätestens seit dem Lkw-Mordanschlag in Nizza. Lebenspartner Robert, mit dem sie nach drei gescheiterten Ehen Tisch und Bett teilt, ergänzt: „Moral und alte Werte müssen neu formiert und von den Fremden geteilt werden. Der Laizismus verbietet jedes religiöse Symbol in der Öffentlichkeit. Das ist die Wurzel der freien Republik.“
Im Himmel sind die Allerletzten
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Kleine Geschichten über die großen Themen des Lebens. Mal nachdenklich, meistens heiter, hintergründig und geistreich berichtet chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer von Begegnungen und Beobachtungen, die nur scheinbar alltäglich sind. Wagt man mit Arnd Brummer den Blick hinter die Oberfläche, erschließen sich tiefe Einsichten in die großen Themen des Lebens.
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Selbst Robert hebt zweifelnd die Brauen, als John ihn nach dem Text fragt. John hat ihn über den Ozean mit in das Urlaubsdomizil gebracht. „Ich habe ihn mir aus dem World Wide Web runtergeladen. Ich hatte ihn bei meinen Urlaubsrecherchen als Link zu Sarlat entdeckt. Ist das nicht super? Du sitzt in Pennsylvania und, plopp, schon hast du die englische Version eines solchen genialen Werks vor dir.“ Und worum geht’s dem Wie-heißt-er-noch?
Eitles Spielzeug, Medaillen, Wein und ein bisschen Geld...
„Um die Faulheit, um die Bequemlichkeit. Zitat gefällig?“ Klar, wer will beim Dessert einem klugen Tischnachbarn widersprechen? Auf Deutsch zitiert John den Mann aus Sarlat, denn auch diese Übersetzung hat er im Netz entdeckt: Die erste Ursache der freiwilligen Knechtschaft sei die Gewohnheit. Unfreie Menschen sagen, „sie seien immer untertan gewesen, ihre Väter hätten genauso gelebt“. Es lohnt sich nicht, ewas verändern zu wollen. Und die Herrscher wüssten ganz genau, wie sie die bereits so träge gewordenen Knechte „noch schlaffer“ machen könnten. Sie köderten sie mit „Theater, Spielen, Volksbelustigungen“... oder mit „Medaillen, Bildern und anderem Kram dieser Art“. Schon in der Antike habe das funktioniert.
Spaß und Volksfeste als Köder der Knechtschaft. „Eitles Spielzeug, das man ihnen vor die Augen hielt,“ wurde noch ergänzt durch „Korn, Wein und Geld“. Und so sei es heute noch, japst Inge, die kaum glauben mag, dass die Boétie-Sätze ein halbes Jahrtausend alt sind: „Ihr habt es doch gut! Essen, Trinken, Fernsehen, Ärzte, Rente! Wozu braucht ihr da noch Freiheit! Ach wie schade, dass unsere Jungen das nicht sehen!“ Nicht sehen, wirklich? Vielleicht machen es die Boys und Girls einfach nur anders als ihr. Bob Dylan? Ja! „Kommt Mütter und Väter im ganzen Land und kritisiert nicht, was ihr nicht verstehen könnt. Eure Söhne und Töchter sind jenseits eurer Kontrolle. Eure alte Straße altert rapide.“
„Na ja“, murmelt Mary, „solange sie uns den Trump ersparen.“ Robert hebt sein Glas: „Auf etwas Neues! Auf neue Werte und Formen. Den ganz alten Franzosen sollte man mal Marine Le Pen zu lesen geben!“