Sven Paustian
Was ist gerecht und was ist Sünde? Wer hat recht? Margot Käßmann? Joachim Gauck?
Lena Uphoff
01.09.2014

Als sich vor zwanzig Jahren der Krieg um Bosnien zuspitzte, ­wurde der damalige Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Peter Beier, in einem Radio-Interview zu seiner Haltung zu einem militärischen Eingreifen der NATO und Deutschlands in den blutigen Konflikt befragt. Und der Interviewer verband seine Frage mit einer anderen: was denn, von einem christlichen Standpunkt aus betrachtet, die richtige Position sei.

Beiers Antwort geistert mir immer noch durchs Gehirn, wenn ich die Diskussionen über militärische Eingriffe des Westens im Irak, in Syrien oder in der Ukraine verfolge. Beier begann: „In dieser Frage kann uns das liebe Jesulein nicht helfen.“ Es gebe kein durch Bibel und Theologie begründbares Dogma, ob eine militärische Intervention richtig sei oder verwerflich.

Gut evangelisch wies Beier auf Martin Luthers Recht­fertigungslehre hin, nach der wir zugleich Gerechte und Sünder seien (lateinisch: simul iustus et peccator). Wir müssten unser Gewissen befragen und uns entscheiden. Und dabei könne es passieren, dass wir etwas für gut und richtig hielten, was sich im Nachhinein als falsch, als sündig herausstelle. Das gelte auch in der Frage militärischen Ein­greifens. Und zwar in beiden Fällen. Es gebe nur einen Ausweg für Christen­menschen: Sie müssten um die richtige Lösung miteinander ringen, also streiten. Ziel sei, das „am wenigsten Schlechte“ zu tun.

Beier starb bereits 1996 nach einem Herzinfarkt, 61 Jahre alt. Dies sind freie Zitate aus meiner Erinnerung. Aber sie be­schreiben gut die völlig unspektakuläre Differenz zwischen dem evangelischen Theologen und Bundespräsidenten Joachim Gauck und der evangelischen Theologin Margot Käßmann. Das gemeinsame öffentliche Ringen darum, wie mit fundamentalistischen Mördern, nationalistischen und machtgierigen Provo­kateuren richtig umzugehen sei, ist reformatorisch die angemessene Haltung. Es unterscheidet uns gerade von jenen, die behaupten, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein und diese im Zweifelsfall mit Mord und Totschlag durchsetzen zu können.

Es ist zudem eine Lernerfahrung für die Theologen aus den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts. Im Ersten Weltkrieg vor hundert Jahren stand „Gott mit uns“ auf deutschen Koppelschlössern, Helmen und Waffen. Im Zweiten Weltkrieg war den Alliierten zu danken, die mit ihrer Landung an der ­Küste der Normandie am D-Day, dem 6. Juni 1944, die Westfront gegen ­Nazideutschland eröffneten. Nach Millionen Toten und Massen­morden an jüdischen Menschen konnte elf Monate später mit der deutschen Kapitulation der Krieg beendet werden.

Christen müssen es sich schwermachen – so oder so

Bei der historischen Auseinandersetzung mit den alliierten Bombenangriffen gegen die deutsche Zivilbevölkerung über­sehen gerade britische und US-amerikanische Analysen nicht, dass maßlose Bombardements auf Städte wie Darmstadt, Würzburg, Hamburg oder Dresden kaum verantwortbare Opfer forderten. Dennoch: Hätte der Westen das europäische Schlachtfeld alleine Hitler und Stalin überlassen, wären nicht Jungs aus Ohio oder Ontario gelandet und in diesem Krieg gefallen, wir würden heute nicht in einer freiheitlichen Demokratie offen und kontrovers über die Ethik von Krieg und Frieden debattieren.

Theologen wie Margot Käßmann muss es dabei erlaubt sein, Utopien wie die eines Staates ohne Armee zu formulieren. Der Sehnsucht nach Frieden Ausdruck zu verleihen, ist ebenso wenig unanständig, wie zu ­fragen, ob es nicht das kleinere Übel sein kann, militärische Gewalt einzusetzen, um einen Völkermord zu verhindern. Nichts anderes hat der Bundespräsident getan.

Christen müssen es sich schwermachen – so oder so. Und wenn sich dann später herausstellt, dass das für gut Gehaltene nur gut gemeint, aber leider schlecht war, gebietet es die Einsicht in die Unvollkommenheit irdischer Existenz, dies freimütig einzuräumen. Was man darüber hinaus in jedem Fall tun kann: beten! Beten, dass jene, die im Namen Gottes oder Allahs unterwegs zu sein meinen, erkennen, wie höllisch ihr Tun ist, und das Morden und Quälen sein lassen.

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Epikie verpflichtet Christen zum Menschendienst

Wer bereit ist, auf einen Völkermord im Nordirak nur mit Gebeten und jesuanischen Vorgaben zu antworten, ist gewiss ein lupenreiner Gesinnungsethiker. Inwieweit er sich mit solchem Handeln jedoch tatsächlich auf Jesus berufen kann, wage ich zu bezweifeln; denn Gebote sind für Menschen gemacht, wir dürfen sie nicht zu einer versteinerten Ideologie erstarren lassen.

Würde Jesus tatsächlich heute sich auf das Gesetz berufen, um seine Gesinnung rein zu halten? Oder wären für ihn die Prinzipien einer Verantwortungsethik für Menschen, die einem Völkermord ausgeliefert sind, nicht doch wichtiger als ein sich auf Gesetze zurückziehendes Gesinnungs-Gewissen?

Jesus hat sich stets in seinen Handlungen von den Grundsätzen der Epikie leiten lassen, will sagen eines Handelns, dass zwar im Einzelfall nicht den Forderungen der Gesetze entsprochen hat, jedoch stets sich von der Maxime hat leiten lassen, das Situationsrichtige zu tun.

Der punktuelle Einsatz von Waffen ist aus meiner Perspektive ein Gebot der Epikie – zur Vermeidung eines Völkermordes! Menschendienst ist Gottesdienst!

Kirche darf sich nicht von den Mächtigen dieser Welt instrumentalisieren lassen; aber auch dürfen Kirchenvertreter sich nicht zum Steigbügelhalter von Herrschern machen, die im Einzelfall mit Hilfe ihrer Macht zwar auch die Kirche schützen, aber gleichzeitig ihrer Blutrünstigkeit gegenüber Kritikern freien Lauf lassen. Immer wieder lassen sich Beispiele im Rahmen der Kirchengeschichte finden, in denen Vertreter der Kirche Röm 13 gründlich missverstanden haben. („Denn es gibt keine Macht außer von Gott. Die bestehende ist von Gott eingesetzt. Wer sich gegen die Macht stellt, widersetzt sich deshalb den Anordnungen Gottes.“)

Kirche hat nicht für den Erhalt der Mächtigen zu sorgen, sondern für die humanen Lebensbedingungen von Menschen, vor allem für die Menschen, die vom Lebensschicksal besonders hart geschlagen worden sind. Es ist für mich unvorstellbar, dass Jesus den Mächtigen seiner Zeit einen Segen erteilt hätte, um diesen zur Machtübernahme zu gratulieren oder damit diese einen Krieg gewinnen sollten. Als einer der Begleiter Jesu einem Diener des Hohenpriesters ein Ohr abschlägt, sagt Jesus zu ihm : „Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“ (Mt 26,52) .

Für Jesus wären z.B. Äußerungen, wie sie Bischof Galen gegenüber dem Nationalsozialismus getätigt hat, unvorstellbar; einige Zitate mögen meine Meinung untermauern. Der Name „Galen“ ist – darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen - mit vielen anderen Namen der katholischen und evangelischen Kirchenhierarchie während des Nationalsozialismus austauschbar:

• Die Äußerungen von Galens am Tag seiner Bischofsweihe am 28.10.1933 müssen als eindeutige Zustimmung zum nationalsozialistischen Führerstaat verstanden werden: „Wir wollen Gott dem Herrn für seine liebevolle Führung dankbar sein, welche die höchsten Führer unser Vaterlandes erleuchtet und gestärkt hat, dass die furchtbare Gefahr, welche unserem geliebten deutschen Volke durch die offene Propaganda für Gottlosigkeit und Unsittlichkeit drohte, erkannt haben und sie mit starker Hand auszurotten suchen.“

• Gemeinsam mit den Bischöfen von Köln und Paderborn fordert Galen im Zusammenhang mit dem Russlandfeldzug : „Mit der ganzen Autorität unseres heiligen Amtes rufen wir auch heute euch wieder zu : Erfüllet in dieser Kriegszeit eure vaterländischen Pflichten aufs treueste! Lasset euch von niemandem übertreffen an Opferwilligkeit und Einsatzbereitschaft .... Wo immer der Daseinskampf unseres Volkes euren Einsatz fordert, da steht.“

• In einem Hirtenbrief vom 15.3.1942 formuliert Galen tröstende Worte an die Hinterbliebenen der Opfer des Russlandfeldzuges : „ Damit komme ich zum Trost, den wir gerade am heutigen Tag brauchen, aber auch zur besonderen Ehrung, die wir unseren gefallenen Kriegern schulden ... Sie wollten in einem neuen Kreuzzug mit dem Feldgeschrei ´Gott will es´ den Bolschewismus niederringen, wie es vor wenigen Jahren der spanische Befreier Franco in einer Rede zu Sevilla mit christlicher Zielsetzung rühmte. Für Europa starben sie, um die drohende rote Flut abzuwehren und einen Schutzwall zu bilden für die ganze westliche Welt.“

• In einem Hirtenbrief vom 25. Februar 1943 spricht Galen davon, dass „christlichen Soldaten, die im Gehorsam gegen Gott aus Liebe zum Vaterland ihre Leben hingeben, ewige Herrlichkeit und Lohn zuteil werden, ganz ähnlich wie den heiligen Märtyrern“.

Nicht nur im weltlichen Bereich ist der Name Gottes missbraucht worden ; eine Unzahl von Beispielen lässt sich auch aus der Kirchengeschichte heranziehen, um den Missbrauch des Namens Gottes zu dokumentieren. Von der Germanenmission über die Kreuzzüge (der Aufruf Papst Urbans steht unter dem Motto : „Deus lo vult“ – Gott will es ) weiter über die Hexenprozesse und die Eroberung Mittel-und Südamerikas unter dem Zeichen des Kreuzes bis hin zum Zweiten Weltkrieg, als es im Namen Gottes galt, den Kommunismus zu besiegen; die Koppelschlösser der deutschen Soldaten trugen die Aufschrift : Gott mit uns. -- Man kann es nicht oft genug wiederholen : Immer dann, wenn wir Menschen den Namen Gottes heranziehen, um gegenüber anderen Menschen Gewalt anzuwenden, findet ein Missbrauch des Namens Gottes statt.

Gott – und das hat Jesus den Menschen seiner Zeit immer wieder vermittelt – lehnt jede Form von Gewalt und Unterdrückung ab; alle Versuche von Menschen aus dem weltlichen und kirchlichen Bereich, ihre Zielsetzungen mit Gott zu legitimieren, stellen ein Verstoß gegen das zweite Gebot dar : Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren. -- Ein Gott, der nötig ist, ist doch kein Gott mehr. Es ist unangemessen, von Gott zu reden nach dem Motto : Ich brauche Gott. Bonhoeffers schrieb kurz vor seiner Hinrichtung im Gefängnis den Satz: „Den Gott, den es gibt, gibt es nicht. - Gott ist die Mitte des Lebens und keineswegs dazu gekommen, uns ungelöste Fragen zu beantworten. – Gott ist kein Lückenbüßer.“

Nicht Gewalt und Machtmissbrauch lassen sich also mit dem Namen Gottes legitimieren – wohl aber Handlungsweisen, wozu Jesus die Menschen seiner Zeit, und damit auch uns heute – immer wieder aufgefordert hat : nämlich unsere Mitmenschen zu lieben, mit ihnen zu teilen, sie zu trösten, uns gegenüber Leidenden mitfühlsam zu verhalten und Mitmenschen vor unmenschlichen Verhaltensweisen zu beschützen. -- In Mt 25,45 fasst Jesus seinen Auftrag an uns Menschen in dem Satz zusammen : Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.

In allen diesen Aktionen drückt sich das aus, was Christsein heute ausmacht und was ich in meinem Buch in dem Satz zusammengefasst habe – verstanden als Aufforderung an einen jeden von uns : Ein Leben führen in Menschlichkeit nach Jesu Art.

Obwohl schon mehr als 400 Jahre verstrichen sind, als Erasmus von Rotterdam die folgenden Sätze formulierte, sind sie dennoch nachdenkenswert und aktuell bis auf den heutigen Tag geblieben. Sie könnten so etwas wie eine Leitplanke christlichen Verhaltens gegenüber Krieg und Gewalt darstellen. Erasmus formulierte:

„Die Christen führen untereinander Krieg und wagen, jenes hochheilige Opfer darzubringen?“ …“Und was das Absurdeste ist, in beiden Heerlagern … werden Gottesdienste gefeiert. Ist das nicht etwas Ungeheuerliches? Das Kreuz kämpft mit dem Kreuz, Christus führt mit Christus Krieg!“ Und abschließend heißt es bei Erasmus: „Die gottgeweihten Priester können und sollen nur dort anwesend sein, wo man Krieg abwehrt.“ (Aus: Querela pacis, Die Klage des Friedens)

Paul Haverkamp, Lingen

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Zitat aus dem Artikel: "Christen müssen es sich schwermachen - so oder so." Klar, Gewissensqualen müssen sein, sonst kann ein moralischer Mensch nicht zu hoher Form auflaufen und glänzen. Das ist doch echt tröstlich zu wissen. Kurdische Kämpfer, demnächst beliefert mit deutsch-christlichen Waffen, und Kämpfer des Kalifats "Islamischer Staat", ausgerüstet mit erbeuteten amerikanisch-christlichen Waffen, bringen sich gegenseitig nach allen Regeln ihrer jeweiligen Wertehimmel um die Ecke. Da müssen Christen und alle anderen, denen es um die hohen Werte geht, unbedingt zu Protokoll geben, dass sie es sich niemals leicht gemacht haben und auch heute nicht leicht machen, wenn sie heftig darum ringen, wer welche Waffen geliefert bekommen soll.

Antwort auf von Iwan der Schre… (nicht registriert)

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Hier tobt wohl jemand seinen unverbesserlichen Christenhass aus. Mal abgesehen von dieser christianophoben Mainstreamhetze: Es wird Zeit für mohammedanische Reue und die Rückgabe sowie wenn möglich Wiederherstellung vielfältiger Kultstätten aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen und religiösen Kontexten, die im Zuge der dschihadistischen Kolonialisierung geschändet und "gut" islamisch vereinnahmt oder komplett zerstört wurden. Die Details dazu im Artikel "The Colonialist Crimes of Islam" von Ezequiel Doiny:
http://www.israelnationalnews.com/Articles/Article.aspx/16050#.VHomP2cqNdh
Warum sollen eigentlich jüdische Israelis in Israel nicht den Tempelberg betreten dürfen, wenn sie dies wünschen, wo es sich bei den Resten des Tempels um das jahrtausendealte Hauptheiligtum der jüdisch-hebräischen Kultur handelt, noch dazu, wo der Felsendom vermutlich eine Kapelle christlicher Araber ist?
www.islamfacts.info

Ionnia schrieb am 29. November 2014 um 21:12: "Es wird Zeit für mohammedanische Reue". Wenn die Antiislamisten den Moslems Reue an den Hals wünschen und dabei gleich mit einer kompletten Rückgabeliste von Tempeln, Kirchen und ähnlich nützlichem Gemäuer winken, sind sie der Zeit ein bisschen voraus. Die notwendige Reuevorbereitung durch amerikanische und andere Bomber ist noch nicht genügend vorangekommen. Ansonsten wird das Reuemanagement für den Alltagsgebrauch von Allah genau so effizient und profihaft gehandhabt wie von Jahwe oder dem dreieinigen Gott. Nachhilfestunden hat keiner der drei Götter von den jeweiligen Fans der anderen Götter nötig.

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Sarkasmus entlastet einen selbst und diskreditiert einen zugleich.