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Wir sitzen im Zug. Noch zweieinhalb Stunden. Der Waggon ist gut gefüllt. Ein paar der Mitreisenden sind hinter Zeitungen und Büchern verschwunden, andere haben ihre Augen auf die Bildschirme von Notebooks, iPads oder Telefonen geheftet. Neben uns spielt eine Familie am Vierertisch Karten. Und wir – mein Kollege und ich – haben uns etwas zu erzählen. Wir reden über Italien, über leerstehende Priesterseminare, über Urlaub im Winter, über Radfahren und Wandern. So lässt sich das Leben in vollen Zügen genießen.
Dann steht die Rachegöttin neben uns im Gang und zischt: „Können Sie endlich Ihr Gespräch beenden! Ich muss diesen ganzen Quatsch mit anhören und kann mich nicht konzentrieren.“ Wir sind etwas verdattert und schauen wohl auch so drein. Schon taucht eine zweite Bewohnerin des Meeres der Stille auf: „Genau! Wir lesen hier und arbeiten. Ruhe jetzt endlich!“ Etwas verunsichert schauen wir uns um. Es gibt ja Abteile und Wagen, in denen kleine Psst!-Schildchen an den Wänden drum bitten, leise zu sein und keine Handys zu benutzen. Nicht in diesem Großraumabteil. Und da wir weder krakeelt noch lautstark gelacht und Trinklieder angestimmt, sondern uns in Zimmerlautstärke unterhalten haben, weisen wir höflich auf diesen Umstand hin: so leid es uns tut.
„Anzupassen haben Sie sich!"
Die Zürnenden beeindruckt das nicht. „Wir alle wollen Ruhe, und da haben Sie sich anzupassen!“, sagt die jüngere der Frauen, die bisher hinter dem Notebook kauerte. „Ja, anzupassen haben Sie sich“, bellt die ältere Dame. Die Karten spielenden Mädels und ihre Eltern schweigen erschrocken. Und auch wir verstummen. Wenigstens für ein paar Minuten.
Ja, es stimmt, dachte ich, wie oft haben mich schon die Telefonisten gestört: „Hallo, Inge, ich bin jetzt in Kassel.“ Oder die fröhliche Vertreterstimme: „Und dann das Größte: Helmut, sage ich, halt dich fest, sage ich. Und dann er. Nee, das glaube ich nicht. Nee, das glaubt er nicht, sage ich: Helmut, das ist der Riesenabschluss. Im Package. Und er: Unglaublich!“
Und erinnere mich, als sei es gestern gewesen, an die Fahrt von Stuttgart nach Köln. Drei Stunden hörte ich von alkoholisierten Betriebsausflüglern den ultimativen Reim: Uns geht es gut, wir denken nicht an morgen, uns geht es gut, wir haben keine Sorgen! Soldaten auf dem Weg nach Hause und Fußballfans nach siegreichen Auswärtsspielen. Und man selbst hat eine mehrstündige Konferenz hinter sich.
Sartre hatte Recht: Die Hölle, das sind die anderen!
Wo ist die Grenze, wann wird aus fröhlichem Gespräch Belästigung? Und wer bestimmt, wann sich wer wem anzupassen hat? Der Kartenspieler-Vater raunt uns mit wienerischem Akzent zu: „Sie warn wirklich net zu laut. Wir haben noch ein Stückerl zu fahren, sechs Stunden bis Wien. Uns stört’s net, wenn sie so wie vorher plaudern.“ Aus Wien sind sie. Na, da haben wir doch schon wieder Stoff für einen kleinen Plausch – und die Herrinnen des schweigenden Transports völlig vergessen. Die Österreicher haben Urlaub an der Nordsee gemacht und wir vor ein paar Monaten einen kurzen in Wien. Der Kollege schwärmt vom Stephansdom und ich vom Musiklokal „Jazzland“ am Franz-Josefs-Kai. Die Wiener fanden es an der Küste „einfach traumhaft“.
„Können Sie jetzt endlich auf-hö-ren! Das ist ja unglaublich. Ich muss ar-bei-tennnn! Und Sie reden über Urrrrlaub!“ Ich ahne, was sie bedrückt. Ein Bannstrahl wird uns treffen. „Nun ist wirklich Schluss!“
Ich bin hin- und hergerissen zwischen Mitleid und leisem Zorn. Natürlich, wir haben uns nur halblaut unterhalten. Gut, ich habe mal lauter gelacht. Neil Diamonds Stadt-Song „What A Beautiful Noise“ fällt mir ein und die Zeilen aus dem alten Nonsensgedicht „...drinnen saßen stehend Leute, schweigend ins Gespräch vertieft“. Aber, was nützt es? Letztlich stimmt die gallige Sottise aus Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“: Die Hölle, das sind die anderen!
Sehr geehrter, lieber Herr
Sehr geehrter, lieber Herr Brummer!
Mit Vergnügen, Andacht, Bewunderung - je nachdem - las ich einzelne Ihrer Beiträge bei chrismon.de - nicht alle; dafür sind es mir im Moment zu viele. Recht herzlichen Dank dafür!
Beim Lesen Ihrer Geschichte über eine Eisenbahnfahrt mit heutzutage nicht untypischen Details fiel mir eine andere Fahrt ein, auf der ich mich mit einem Unbekannten über Gott unterhielt. Sie beschreibe ich auf einer meiner Webseiten, deren Adresse oben angegeben ist.
Ich grüße Sie und wünsche Ihnen für das Neue Jahr (das wirklich noch ziemlich neu ist) alles Gute und Gottes Segen.
Hans-Jürgen Caspar
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"Die Hölle, das sind die anderen", immer ???
Ich kann nicht glauben, was ich da lese , - ( kann man sich in einem öffentlichen Zugabteil so vergessen ?! ) - , und muss mich sehr wundern ! Wäre es denn nicht besser, Herr Brummer, auf Ihre freundliche Art, die Mitreisende, eher mit einzubeziehen, statt diese, in stillem Groll, aus dem "Sympathisanten " Kreis auszuschliessen ??? Herr Hans -Jürgen hatte da schon lobenswert mehr Erfolg .
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