Glasbauer Kristof Kuhn vor dem umstrittenen "Reformationsfenster" des Kuenstlers Markus Luepertz in der evangelischen Marktkirche in Hannover (Foto vom 11.10.2023). Nach mehr als fuenf Jahren mit zum Teil heftigen Kontroversen ist das umstrittene Reformationsfenster fuer die evangelische Marktkirche an Ort und Stelle. Handwerker setzten das Werk des Kuenstlers Markus Luepertz in den vergangenen Tagen an der Suedseite der spaetmittelalterlichen Backsteinkirche ein.
Glasbauer Kristof Kuhn vor dem umstrittenen "Reformationsfenster" des Kuenstlers Markus Luepertz in der Marktkirche von Hannover.
Jens Schulze/epd-bild/picture alliance/VG Bild Kunst Bonn 2024
Gesponsortes Kirchenfenster
Nachbetrachtung einer Erregung
Über das neue Kirchenfenster in Hannovers Marktkirche hatten sich schon im Vorfeld viele empört. Nun ist es seit gut einem halben Jahr eingebaut. War es die Aufregung wert?
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
07.03.2024

Über das neue Kirchenfenster in Hannovers Marktkirche hatten sich schon im Vorfeld viele empört. Nun ist es seit gut einem halben Jahr eingebaut. War es die Aufregung wert?

Kunstwerke muss man sich ansehen. Was man in Medien über sie hört, liest oder sieht, ist kein Ersatz. So verhält es sich auch beim Lüpertz-Fenster von Hannover. Man betritt die Marktkirche, die in ihrer Verbindung aus alter Größe und Nachkriegsstrenge immer noch beeindruckt. Auf der rechten Seite sieht man gleich das neue Fenster. Würde man sich über es erregen, wenn man nie etwas darüber gelesen hätte (also nichts über die fragwürdige Spende eines ehemaligen Bundeskanzlers, nichts über die fehlenden konzeptionellen Überlegungen, nichts über den Rechtsstreit mit der Familie des Architekten der letzten Sanierung, nichts über die Bildsprache, nichts über die Fliegen, die auf Fenster zu sehen sind)?

Wahrscheinlich nicht. So störend wie befürchtet, ist das neue Fenster nicht. Die Farben sind kräftig und die Formen grobianisch, wie man es von Lüpertz kennt. Aber keineswegs drastisch oder schockierend. Man wundert sich eher und fragt sich, was es soll. Allerlei an Bedeutung wird aufgerufen – Reformator, Christus, diese Fliegen –, doch wozu? Was hat das mit Luther, der Reformation, der evangelischen Kirche, dem Glauben, der Moderne zu tun? Da bleibt das Fenster trotz seiner bemühten Expressivität stumm. Es wirkt eigentümlich einsam und verloren in dem Kirchraum, auf den es sich so gar nicht bezieht. Man erkennt das Grundproblem einiger neuer Kirchenfenster von prominenten Künstlern: Diese scheinen ihren Zenit überschritten zu haben und nun zu fürchten, dass ihre Werke nicht mehr lange hochgehandelt und prominent in Museen präsentiert zu werden. Da verspricht ein eigenes Kirchenfenster ein Stück Ewigkeit. Man möchte es ihnen gönnen, doch was nutzt es dem Kirchraum?

Hübsch ist eine pädagogische Maßnahme: Auf der gegenüberliegenden Seite der Kirche findet sich ein riesiges Puzzle aus Holz, mit dem man das Fenster in die Hand nehmen, auseinanderlegen und neu zusammensetzen kann. Das macht Spaß. Aber den Sinn dieses Kirchenkunstwerks bringt es einem nicht näher. Auch ein Würfel, der davor steht und allerlei Informationen über Fliegen in Religions- und Symbolgeschichte liefert, ist keine Hilfe. So bleibt die Frage nach dem Warum dieses Fensters unbeantwortet. Aber groß aufregen muss man sich darüber nicht mehr. Wer es während des Gottesdienstes nicht sehen möchte, findet viele Plätze zur Auswahl.

 

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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Claussen,

bin grad in der Marktkirche und bin beeindruckt… eine Möglichkeit, bei langweiligen Predigten, die eigene Fantasie schweifen zu lassen – RezeptionsÄsthetik at its best. was ich für bedenklich halte, ist das mit einer reißerische Überschrift, die Wirklichkeit der Finanzierung nur auf die Geschichte der Finanzierung des Fensters reduziert wird – die Kirchengemeinde hat im Zuge des Ukraine Kriegs die Selbstfinanzierung des Fensters vorgenommen und die Spenden unter anderem zu Finanzierung der Ukraine Hilfe eingesetzt. Ich würde mir wünschen, dass Journalismus und auch Personen, die dem Thema Kultur im Bereich der EKD vorstehen, dies adäquat würdigen. Herzliche Grüße, Michael Stritar

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Lieber Herr Stritar,

vielen Dank für Ihre Kritik! Ich habe den Text bearbeitet. In der Tat: Am Anfang stand eine Sponsorenzusage von Gerhard Schröder, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde sie kritisiert, am Ende hat die Gemeinde die Kosten getragen. Nichtsdestotrotz stellt sich mir die Frage nach dem Anfang solch eines Vorhabens. Ich meine, dass konzeptionelle Gedanken am Beginn stehen sollten. Oft, nicht nur in der Hannoverschen Marktkirche, läuft es anders, was nicht selten zu problematischen Ergebnissen führt. - Aber das ist natürlich auch eine Geschmacksfrage, die jeder für sich entscheiden muss.

Ihr Johann Hinrich Claussen

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur