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Zwei Raben sitzen auf einer Stromleitung und schweigen sich an. Sagt der eine zum anderen: "Frag mich mal, wie es mir geht." Schweigen. Und wieder: "Frag mich doch bitte, wie es mir geht!" Nichts. Keine Reaktion. Ein drittes Mal: "Nun frag mich doch endlich, wie es mir geht!!!" Da bewegt sich der zweite Rabe und erkundigt sich: "Na, wie geht es dir denn?" Der erste antwortet: "Ach, frag nicht!" Über diesen kleinen Witz kann ich mich seit vielen Jahren immer wieder amüsieren, denn er hat, wie alle wirklich guten Witze, einen ernsten Kern: Einer will unbedingt, dass der andere sich für ihn interessiert. Als der das dann nach erheblichem Drängen unwillig tut, kriegt er eine unpräzise Antwort. Sie deutet an, dass es dem Befragten nicht sonderlich gut geht. Man müsste jetzt eigentlich weiterreden, um wirklich ins Gespräch zu kommen. Und das war's dann oft auch.
"Wie geht's" ist eine stereotype Begrüßungsformel, die oft nur oberflächlich dahingesagt wird. Ist das der Fall, merkt man es ziemlich schnell: Ein testweise vorgetragenes "schlecht" wird gerne mit "dann ist ja alles bestens" quittiert. Es ist ganz egal, was man sagt, weil der andere eh nicht richtig hinhört er will nichts Genaues wissen. "Geht's gut?" ist eine Variante, mit der Fragende von vornherein andere Alternativen ausschließen möchten: Bloß keine Probleme hören - lieber eine Vorlage liefern, die den anderen nötigt, den Ball in die gewünschte Richtung zu kicken. Wer traut sich schon, darauf zu sagen: "Mein Knie macht mir zu schaffen" oder: "Wir hatten gestern wieder einen Riesenkrach!"
"Wie geht es uns heute?" ist Spitze unter den Fragen, die überflüssig sind und keine Antwort verdienen
"Wie geht es uns heute?" ist einsame Spitze unter den Fragen, die überflüssig sind und keine Antwort verdienen. Sie wird zum Glück nur noch selten gestellt. Aber ich habe schon Patienten gehört, die auf diese joviale Erkundigung sagten: "Wie es Ihnen geht, weiß ich nicht. Ich jedenfalls fühle mich wohl." Anders ist es, wenn der Vorgesetzte nach längerer Kommunikationspause ein Gespräch höflich und ohne Hektik mit den Worten beginnt: "Wie geht es Ihnen?" Dann kann man spüren, dass da einer zunächst am Menschen, an seinem persönlichen Wohlbefinden, und dann erst an dessen Leistung interessiert ist. So hat man Lust, ein paar Takte zu sich selbst zu sagen auch wenn man weiß, dass die Frage nicht in jedem Fall mit der Erwartung verbunden ist, Details aus dem Privatleben zu hören.
Es muss nicht sein, dass man auf jedes Interesse am eigenen Befinden ausführlich oder mit Intimitäten reagiert. Mag es ruhig bei einem Small Talk bleiben, weil nicht immer Zeit und Ort ist, sich gänzlich zu "offenbaren": Hauptsache, man verschwendet seine Zeit nicht mit hohlen Phrasen. Auf ein "Wie geht's?" mal knapp, mal intensiv zu reagieren, hat dann Sinn, wenn der, der fragt, am Gegenüber wirklich interessiert ist und fest damit rechnet, dass dieser Mensch wirklich etwas sagt. Möglicherweise etwas, das einen in Anspruch nimmt, nicht mehr loslässt, belastet. Die Frage hat einen Sinn und verlangt nach angemessener Auskunft, wenn man merkt: Hier nimmt mich einer ernst.
Einer, der Anteil nehmen möchte, verlangt aber eben auch, dass jemand Anteil gibt seinerseits willens und in der Lage ist, von sich zu erzählen. Das ist nicht so leicht. Wie viel kann ich sagen, ohne es hinterher zu bereuen? Ist der, der fragt, die richtige Adresse für mein Weh oder meinen Jubel? Ist jetzt wirklich die passende Gelegenheit, um mein Herz auszuschütten oder von der neuen Liebe zu berichten? Verabrede ich mich besser für einen späteren Zeitpunkt, an dem man Luft hat, um sich gründlich auszutauschen? Man sollte sich ruhig auch fragen, ob der, der fragt, wirklich alles verkraften kann, worüber man gerne reden würde. Es ist ja möglich, dass ein Mensch sich liebevoll um andere bemüht, obwohl er selbst schwer zu tragen hat. Wenn der Nachbar, der um seine kranke Frau bangt, immer noch ein offenes Ohr für Nöte hat, muss man keine halbe Stunde über Heuschnupfen jammern.
Ein hilfloses Schulterzucken, eine Träne, ein Seufzer
Manchmal kann man nur zaghaft signalisieren, dass es einem nicht so gut geht. Vielleicht hat man das Glück, dass der andere in der Lage ist, auf Signale zu reagieren, zu verstehen oder auch nur zu ahnen, was sie bedeuten - ein hilfloses Schulterzucken, eine Träne, ein Seufzer - und sanft nachzusetzen. Das ist dann ein Glücksfall, ein Segen. Manchmal wird er einem zuteil, weil der, der nach einem fragt, sensibel ist oder ein Mensch, der einem schon lange vertraut ist. Ein andermal ist es gerade die Fremdheit, die einen Redeschwall auslöst am Tresen einer Bar, während einer Zugfahrt. Gerade weil man sich nicht kennt und nie wieder sieht, fällt es leicht, für unverhoffte Augenblicke eine kostbare Nähe zu erleben.
Normalerweise macht Kommunikation, die Verständigung darüber, wo man sich mit Leib, Hirn und Seele in seinem Leben gerade aufhält, Mühe. Eine Mühe, die sich für beide Seiten lohnt. Und gelegentlich macht es auch einfach Freude dann, wenn jemand auf die Frage "Wie geht's?" zum Beispiel die überraschende Antwort gibt: "Am liebsten gut." Da lässt sich doch anknüpfen...