Gerade für Menschen, die sich leidenschaftlich für andere einsetzen - und gerade deshalb eine Pause nötig hätten
15.11.2010

Eine anstrengende Woche geht zu Ende. Hoch die Füße, her mit einer kuscheligen Decke - aufatmen. Zeit für mich ganz allein, die ich brauche, um wieder zu mir zu kommen. Genau zehn Minuten dauert die friedliche Stille. Dann klingelt das Telefon. Es ist ein Naturgesetz: Exakt in dem Moment, in dem man sich zurückzieht, verlangt ein anderer Mensch nach einem. Aber gut - es könnte ja wichtig sein. Freundin in Not, Eltern krank ... Es gibt manch Möglichkeit, die es verbietet, nicht an den Apparat zu gehen. Aber gleich erkennt man ein weiteres Naturgesetz: Es ist jemand, der auch zu einer ganz anderen Zeit hätte anrufen können - zum Bespiel am nächsten Montagvormittag. Es eilt überhaupt nicht. Was also tun?

Frauen mutet es unanständig an, eigenes Wohlbefinden über Forderungen anderer zu stellen.

Besonders den Menschen, die sich leidenschaftlich für andere einsetzen und gerade deshalb eine Pause nötig hätten, fällt es schwer, Störenfriede abzuwimmeln. Sie sind darauf trainiert, anderen freundliche Aufmerksamkeit zu schenken. Zu dieser Haltung scheint es einfach nicht zu passen, ein klares Nein gegenüber Ansprüchen anderer zu formulieren, zumal dann, wenn man sich gerade dem privaten Vergnügen widmen wollte. Vor allem Frauen mutet es fast unanständig an, eigenes Wohlbefinden über die Forderungen anderer zu stellen. Eine Arbeit, die man unbedingt fertig zu machen hat, ein Kind, das heftig schreit, ist schon eher geeignet, die Erfüllung der Wünsche Dritter auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben.

Also zähneknirschend Freundlichkeit mimen und wieder eigene Zeit drangeben? Nein. Denn wenn ein Mann oder eine Frau sich stets zum Opfer anderer machen, statt auf ihre eigenen körperlichen und seelischen Bedürfnisse zu achten, werden sie es irgendwann zu spüren bekommen. Gereiztheit stellt sich ein. Man spürt Unmut auch bei ganz normalen Bitten und Anliegen: "Welcher Idiot will denn jetzt schon wieder was von mir! ?" Schon die kleinste Frage lässt einen explodieren. Kopf- und Magenschmerzen, Verspannungen machen einem zu schaffen. Nachts wirft man sich im Bett herum, weil man tagsüber oder am Abend einfach nicht zur Ruhe, nicht zu sich selbst gekommen ist.

"Liebe deinen Nächsten wie dich selbst"

Man kann es nicht oft genug sagen: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" - so und nicht anders steht es in der Bibel. Es ist wichtig, auch mit sich selbst nicht nachlässig, sondern fürsorglich umzugehen, in Dankbarkeit für das Leben, das einem geschenkt ist. Wer auf sich aufpasst, wer merkt, wann es zu viel wird mit all den Forderungen, der bleibt eher im körperlichen und seelischen Gleichgewicht als jemand, der sich verbraucht und verzehrt. Umgekehrt kann man das Bibelwort auch denen entgegenhalten, die mit theatralischer Gebärde verkünden, dass sie eigentlich nie Nein sagen können, und dann in wenigen Sätzen so viele "Ichs" unterbringen, dass sie für den halben Tag reichen. Wer so aus dem Takt geraten ist, hat kein Gespür mehr für ein harmonisches Miteinander.

Ein Mensch, der die eigenen Grenzen deutlich wahrnimmt und geistvoll mit seinen Ressourcen umgeht, der kann dann auch anpacken, wo er oder sie dringend gebraucht wird. Ausgeruht, entspannt ist die Konzentration höher und die Kraft größer für sich selbst und für den, der einen braucht. An Pfingsten hat der Geist Jünger und Jüngerinnen Jesu gepackt und mitreißend reden lassen - so, dass ein internationales Publikum hin und weg war. Möglich war das, weil dieser Heilige Geist nicht auf völlig fertige, mit Gedanken, Worten und Aktionen zugemüllte Menschen gestoßen ist, sondern auf Männer und Frauen, die noch Zeit und Raum in sich haben für Sehnsucht nach Leben. 

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.