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Der Chef hat es eilig. Schnell in einer halben Stunde alle wichtigen Punkte für die Woche besprochen und weiter geht es. Weit gefehlt. Eine Mitarbeiterin verdrückt sich auf die Toilette, um aufsteigende Tränen abzuwischen: Ihr Sohn ist Samstagnacht wieder mal nicht nach Hause gekommen. Ob er Drogen nimmt? Ihre Kollegin sucht sie - und findet sie vor dem Waschbecken. "Was ist los mit Ihnen?" Erneut fließen die Tränen. Die Kollegin tröstet; es dauert, bis beide wieder an ihrem Platz sind. Der Chef ist inzwischen ärgerlich. Er sucht nach einem Schriftstück, das er gleich braucht, und möchte dringend verbunden werden. Wo sind denn wieder alle, Herrgott, noch mal!
Alle sind da, wo sie sich seelisch gerade befinden
Alle sind genau da, wo sie sich seelisch gerade befinden. Beim nervigen Sprössling, bei der ratlosen Kollegin. Kein Mensch kann auf Dauer seine Nöte vergessen, nicht für regelmäßig acht Stunden am Tag. Was einen belastet, schiebt sich immer wieder in den Vordergrund und verhindert, dass man sich konzentrieren kann. Genauso wenig vermag einer, der ein Herz für andere hat, seine Sympathie unter Aktenbergen vergraben. Man sieht doch die verweinten Augen, die Blässe in einem sonst frischen Gesicht. Es schadet auch der eigenen Seele, wenn man seine Einfühlsamkeit wegdrückt - nur, um den ganzen Tag mit einem unguten Gefühl herumzusitzen, weil man genau weiß, dass der Kollegin, dem Kollegen etwas fehlt.
Privates gehört nicht ins Büro, sagen viele. "Wir sind kein Kaffeekränzchen." Eine solche vermeintlich sachliche Haltung geht komplett an der Wirklichkeit vorbei. Jeder bringt sein Päckchen an Erfahrungen und Erlebnissen mit in den Dienst, sammelt dort neue Eindrücke- angenehme oder bedrückende. Das muss einen gebührenden Platz bekommen. Die biblischen Worte sind nach wie vor richtig: "Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde ...; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit ...; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit ..." (Prediger 3). An menschlichen Grundbedürfnissen ändern Terminpläne nichts - es sei denn, man will seine Mitmenschen bewusst ignorieren.
Team als Gemeinschaft
Mitarbeitende, die Zeit für gemeinsame Heiterkeit und Trauer, für Gespräche und für Stille finden, schaffen auf diese Weise mehr, als wenn einer oder mehrere durch Gefühle und Gedanken blockiert sind und keinen freien Kopf haben. Es ist schon klar, dass nicht zu jeder Stunde und unbegrenzt über Beziehungsprobleme, den dementen Vater oder die Angst vor einer Diagnose gesprochen werden kann. In manchen Büros klappt es, dafür feste Zeiten einzurichten. Etwa am Montagmorgen, wenn eine Dienstbesprechung ansteht. Da darf erst einmal jeder, der mag, erzählen, wie toll das Wochenende war oder was einem auf der Seele liegt. Dafür kann man ruhig eine Stunde oder anderthalb ansetzen, das tut allen gut, und das Team ist dann nicht bloß ein Zweckverband, sondern eine echte Gemeinschaft.
Wenn das nicht geht, weil man nicht alles, was einen bewegt, allen erzählen möchte, sollte man sich seine Vertrauten suchen und ihnen das Herz ausschütten. Der Beruf verlangt Männern und Frauen heute immer mehr Kreativität ab. Mit hoher Energie sollen sie eigene Ideen in die Arbeit einbringen und dafür sorgen, dass diese Ideen effektiv und erfolgreich umgesetzt werden. So etwas schaffen auf Dauer nur Menschen, die auch sie selber bleiben können. Die sich wirklich entfalten dürfen - mit ihrer Fantasie und ihrem Gedankenreichtum. Denen Raum gegeben wird, damit sie als ganzer Mensch wahr- und ernst genommen werden und zugleich Zeit für andere haben.