- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Die Kirche war festlich geschmückt an diesem Frühlingstag in Leipzig, die Orgel spielte Bach, schließlich hat der Thomaskantor persönlich vor 300 Jahren hier die Kirchenmusik verantwortet. Seither hat das Gebäude viel überstanden, Weltkriege, sauren Regen und die Zerstörungsversuche des DDR-Regimes. Womit die alten Baumeister wohl nie gerechnet haben: dass man im 21. Jahrhundert den Sakralbau mit eng bedruckten lila Ausroll-Plakaten zuhängt.
Ursula Ott
Als die Pfarrerin die Veranstalter drum bat, wenigstens den Altar zu verschonen – "Das ist doch ein Gotteshaus!" – hatte sie keine Chance. Die Roll-ups seien teuer gewesen, also wolle man sie auch aufstellen. Das Argument kenne ich aus unserer Redaktion. Die Fotos waren so teuer, lasst uns viele im Heft drucken. Aber wenn es doch manchmal nicht passt?
Im Autohaus ja - aber bitte nicht im Gotteshaus
Auf die Gefahr, meine nettesten Kollegen zu enttäuschen: Ich finde auch "7 Wochen Ohne"-Roll-ups im ZDF-Gottesdienst nicht schön. Und dass zeitgleich beim katholischen Fastengottesdienst in der ARD nicht nur ein "Misereor"-Roll-up, sondern auch sieben Stapel mit Papier um den Altar im Kölner Dom herumstanden – furchtbar! Das Problem ist übrigens gerade nicht, dass Werbebanner und Roll-ups teuer wären. Es gibt sie ab 25 Euro, und deshalb stehen sie in jedem Autohaus, in jeder Schulaula und in jeder Buchhandlung. Im Autohaus finde ich sie auch prima. Im Gotteshaus guck ich lieber auf Seitenaltäre und Epitaphe. Schlimm genug, dass an der Berliner Gedächtniskirche jetzt außen Huawei- Werbung hängt, bringt Geld für den kaputten Glockenturm, hab ich verstanden, ist eine Notmaßnahme, sagt der Pfarrer. Aber ohne Not muss man Kirchen nicht verschandeln.
Apropos Not. Ich habe auch schon Roll-ups drucken lassen mit Covern meiner Bücher. Sie wollen das nicht sehen, wie doof man als Autorin dasteht, wenn sich das Billig-Roll-up mitten in der Lesung, zzzrrrrppp, einrollt. Der Wiener Schriftsteller Wolf Haas sagt in den "Fragen an das Leben" (S. 44): Wer sich bis auf die Knochen blamiert, fühlt sich lebendig. Weiß nicht. Ich würde dann lieber im Boden versinken.