Kommen Sie gerade aus dem Urlaub und sind gespannt, was Neues auf Sie wartet? Haben Sie die schönsten Fotos an Freunde vermailt und sind so richtig gut erholt? Freuen sich die Kinder auf die Schule und darauf, dass sie jetzt zu den Größeren gehören, weil sie eine Klasse weiter sind? Und wenn sie vom schönsten Ferienerlebnis erzählen sollen, müssen sie länger überlegen, weil sie so übervoll sind mit Eindrücken, von Bergen, Meeren, dem Bauernhof und dem Freiluftkino?

Immer mehr Kinder - fast zwei Millionen leben heute von Sozialleistungen werden wohl nichts zu erzählen haben. Oder sie werden sich etwas ausdenken, was sie gar nicht erlebt haben. Sie gehören zu denen, die in Armut leben, in Deutschland, in einem der reichsten Länder der Welt. Sie gehören zu denen, die das Gefühl haben, nicht dazuzugehören, überflüssig zu sein. Und es ist nicht ihre Intelligenz, nicht ihr Witz, nicht ihr Engagement, nicht ihr Talent, das zählt, sondern - mehr als in jedem anderen Land der Welt - der Kontostand der Eltern.

Eine Million Menschen kommen zu den Tafeln. Ein Viertel davon sind Kinder. Den Tafeln ist ja gelegentlich vorgeworfen worden, sie würden eine Schattenwirtschaft etablieren. Das ist natürlich Unsinn. Was sie tatsächlich tun: Sie machen eine Schattengesellschaft sichtbar - eine Gesellschaft, die andernorts unsichtbar und im Dunkeln bleibt. Viele Kirchgemeinden engagieren sich hier. Das ist gut, und dennoch bleibt die Frage: Gehören die, die da Essen und ein gutes Wort bekommen, wirklich dazu? Sind sie Teil von Gemeinschaft und Gemeinde oder nichts anderes als Hilfeempfänger?

Wir versagen dort, so Ausgleich geschaffen werden könnte

Könnten wir wohl etwas lernen von denen, die unsere Gesellschaft von ganz unten sehen? Ob wir wohl klarer, heftiger, leidenschaftlicher, lauter anklagen und Veränderung verlangen würden, wenn wir genau wüssten, wie es sich lebt, da, wo nichts selbstverständlich ist, jeder Behördenantrag eine Doktorarbeit zu sein hat und jedes Bedürfnis eine Begründung braucht?

Das Verfassungsgericht hat klargemacht, dass man nicht leben kann von dem, was jedem zur Sicherung seines Lebensunterhalts gesetzlich zusteht. Diese Leistung muss erhöht werden, etwa auf monatlich 420 Euro, wie die Sozialverbände vorschlagen. Und - nein: Die, die davon reden, dass solches zusätzliches Geld am Ende nur in Nikotin und Alkohol angelegt würde, wissen nichts vom Leben an der Armutsgrenze. Wir versagen dort, wo Ausgleich geschaffen werden könnte.

Das machen andere Länder längst vor. Bildung und Betreuung sind zumindest eine Möglichkeit, aus dem Armutskreislauf auszubrechen. Bildung und individuelle Förderung von klein auf sind kein Almosen, sondern Bürgerrecht. Hier geht es um Elementares, um die Freiheit, seine Talente entfalten und Chancen ergreifen zu können - egal, wo man herkommt, egal, wo man wohnt und wie man heißt. Schon bestimmte Vornamen oder Adressen, das hat eine Studie gezeigt, führen dazu, dass die Bewerbung für ein Praktikum oder eine feste Stelle aussortiert wird, bevor auch nur das Anschreiben gelesen wird. In den USA macht man das anders. Hier werden diese Angaben geschwärzt, um Vorurteilen zu begegnen. Auch in Frankreich werden solche anonymen Bewerbungen getestet.

In diesen Wochen reden wir wieder einmal über Sparpakete. Gespart wird an den Falschen, an den Armen, zum Beispiel beim Geld für die Heizung. Aber: Politik braucht auch Bürgerinnen und Bürger, die wollen, dass am ersten Schultag alle ein schönstes Ferienerlebnis zu erzählen haben.

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Wieviele Bürger mögen es denn sein, die sich um das Wohlergehen von Kindern aus armen Elternhäusern sorgen? Und wo findet man diese besorgten Mitmenschen? Als ich 2003 erwerbslos wurde und meine Mutter bei Treffen ihrer Kirchengemeinde davon erzählte, waren die Gespräche über dieses "anstößige" Thema ganz schnell beendet - es mussten von den Gesprächspartnern ja noch soooo viele andere Anwesende begrüßt werden.

Wo sind die Kirchengemeinden, die mit Kommune, Landeskirche, Fördergeldern von Bund/Land/KfW/Europ. Sozialfonds ein Wohnungsbauprojekt für Menschen mit geringem Einkommen initiieren, nicht eins, bei dem Bauunternehmen verdienen. Sondern eins, bei dem die künftigen Bewohner mitplanen und anpacken, flankiert von Fachkräften, die aufgrund ihres Alters keinen Arbeitsplatz mehr finden - Architekten, Bauingenieure, Handwerker, etc. pp. Ein Projekt, dessen Ergebnis nicht so trist aussieht wie der ehemalige staatliche Sozialwohnungsbau.

Die neue Mitte, die Gerhard Schröder als Bundeskanzler mit seiner neuen Sozialpolitik adressierte, kann mit der neuen Armut prächtig leben. Der lange Schatten der wachsenden Verarmung in dieser Gesellschaft - alteingesessene Fachgeschäfte verschwinden, Fastfood-Ketten breiten sich aus, Briefkästen werden aus Effizienzgründen abgebaut, in Schulen und Krankenhäusern mangelt es an der Hygiene ... - tangiert diese neue Mitte nicht, es gibt ja ebay, Edelversandhäuser, Privatschulen, etc.