Abraham hat seinen Sohn geopfert. Zwar nicht Isaak, von dem in unserem Text die Rede ist, sondern Ismael, seinen Erstgeborenen, den mit der Magd Hagar unehelich gezeugten Sohn. Ismael stand der Verheißung im Wege. Also beugt sich der Erzvater dem Willen Gottes und dem Willen seiner Frau Sara, die das Erbe Isaaks durch den Halbbruder gefährdet sehen. Abraham schickt Hagar und Ismael in die Wüste, wo sie nur mit Gottes Hilfe überleben.
Auch der Koran kennt die grauenhafte Geschichte von der Versuchung Abrahams. Allah fordert von Ibrahim ein Menschenopfer mit dem Unterschied, dass es sich nach muslimischer Tradition um Ismail handelt. Das Messer schneidet nicht. Ibrahim besteht die Prüfung. Anstelle Ismails landet ein Schaf auf dem Opferstein. 2,5 Millionen Tiere werden Jahr für Jahr in der Türkei zur Feier des höchsten muslimischen Festes geschlachtet: Kurban Bayrami das Opferfest. Muslime gedenken damit der Glaubensstärke ihres Propheten Ibrahim, der Allah bedingungslosen Gehorsam leistete.
Was für Muslime Grund zum Feiern, ist uns Christen peinlich. Die Geschichte eines Gottes, der Menschenopfer verlangt, hinterlässt einen blutigen Nachgeschmack. Da hilft es wenig, dass am Ende alles gut ausgeht: Ein Bote Gottes greift ein und stoppt den zu allem entschlossenen Vater. Ein Widder wird anstelle Isaaks geopfert. Gerade noch mal gut gegangen, aber hier geht es um Psychoterror: Erst verspricht Gott seinem Verheißungsträger Abraham und dessen Frau Sara den lange vergeblich ersehnten Sohn, dann fordert er das Gottesgeschenk kaum gemacht wieder zurück. Was ist das für ein Gott, der seine Verheißung, die er in Gestalt eines unschuldigen Kindes erfüllte, zunichte machen will?
Uns trennen Lebenswelten von Abraham und Sara, Isaak und Ismael. Wir pflegen unsere Gottesbeziehung distanziert im Gebet und in der Kirche. Unsere biblischen Glaubensvorfahren hingegen waren von Gott durchdrungen. Er bestimmte ihre Existenz. Ein Ruf genügte, und Abraham meldet sich zur Stelle: "Hier bin ich!" Wir heute hingegen kommen, wenn wir Lust dazu haben.
Gott hatte Großes mit Abraham vor. Abraham war nicht irgendwer, sondern der Stammvater des künftigen Gottesvolkes. Eine Führungsperson. Mit ihm steht und fällt der Segen und die Verheißung. Eine so verantwortungsvolle Position bekommt man nicht einfach so. Da muss man sich erst einmal beweisen. Da muss die Familie zurückstehen. Da muss man Opfer bringen können. Ein Versuch, sich mit Bildern aus unserer Lebenswirklichkeit dem fremden Gott auf dem Berg zu nähern, denn der opferfordernde Gott gehört nun mal zur Tradition von Judentum, Christentum und Islam. Gleich ist allen Geschichten das Ende: Das Opfer wird bewahrt. Das eigene Kind überlebt. Die Zukunft geht weiter.
Gott ist nicht nebenbei zu haben. Sein Anspruch und Zuspruch erfasst uns ganz oder gar nicht. Sein Segen kommt nicht als handlicher kleiner Geschenkkarton zu uns, den wir ins Regal stellen und je nach Bedarf wieder hervorholen können. Er pulsiert in uns wie das Blut in unseren Adern. Die Frage an uns heute ist: Lassen wir ihn so nah an uns heran?