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Was ist das für ein Leben? Da müht sich einer nicht nur ab, da freut sich einer doch tatsächlich in seinen Leiden, da setzt doch tatsächlich einer seinen Körper rücksichtslos für die Gemeinde ein. Man muss schon sehr tief protestantisch geprägt sein, sehr tief kirchlich sozialisiert, damit einem solche Worte keinen leichten Schauer über den Rücken jagen. Über Leiden sollte sich nämlich eigentlich niemand freuen, und mit seinem Körper sollte auch niemand rücksichtslos umgehen.
Rückhaltloses Opfer für den Herrn?
Was hat denn eine Gemeinde davon, wenn der übereifrige Pfarrer nach einem Herzinfarkt in der Klinik liegt und ganz ausfällt; wem ist damit gedient, wenn körperliche Leiden als Nachfolge des leidenden Christus verklärt werden und deswegen niemand mehr darüber klagen darf, was schmerzt? Das Bild eines Dieners, der sich rücksichtslos für seinen Herrn aufopfert (und natürlich auch das Bild einer Dienerin, die sich rückhaltlos für ihren Herrn aufopfert), hat unheilvolle Folgen für die leibliche wie seelische Gesundheit vieler Menschen gehabt, die sich als Mitarbeitende in den Dienst der Kirche gestellt haben. Noch einmal: Was ist das für ein Leben?
Es ist das Leben des Apostels Paulus, das von Schülern dieses Apostels mit eben diesen Worten charakterisiert wird: Dieser Jude aus Tarsus hat tatsächlich seinen Körper rücksichtslos für die Gemeinde eingesetzt, wurde für seine Predigten etliche Male mit der synagogalen Prügelstrafe gemaßregelt und drohte mehrfach bei Schiffbrüchen im Mittelmeer unterzugehen. Hat er sich aber in seinen Leiden gefreut? Paulus empfand Leiden zwar als notwendigen Bestandteil seiner Wirksamkeit als Apostel, meinte, dass er ständig das Sterben Jesu an seinem Körper trug, und hielt sich sogar für den „Abschaum der Menschheit, jedermanns Kehricht“. Aber nirgendwo in seinen authentischen Briefen liest man, dass er sich in seinen Leiden gefreut hat. So haben das erst seine Schüler verklärt, während er selbst durchaus noch ziemlich ehrlich von den Schmerzen gesprochen hat.
Nicht die Schwäche theologisch verklären!
Paulus schreibt in seinen eigenhändigen Briefen nicht von Freude über Leiden. Er berichtet vielmehr von seiner Erfahrung, dass ihm mitten in solchen Leiden die Kraft Gottes plötzlich so gestärkt hat, gerade so, wie ein helles Licht mit seinem Strahlen nicht nur die Dunkelheit erhellt, sondern kräftigt und tröstet. Der Apostel er-zählt, dass es Momente eigener Schwäche waren, in denen er solche Ermutigung und Kräftigung erfahren hat – offenkundig auch deswegen, weil er in solchen Situationen nicht auf die eigene Kraft vertrauen konnte. Es gibt vermutlich eine ganze Menge von Menschen, die vergleichbare Erfahrungen gemacht haben und immer wieder machen; sie werden beispielsweise in Momenten großer Kraftlosigkeit durch biblische Geschichten, durch Kirchenlieder und andere Musik besonders nachhaltig getröstet und gekräftigt. Trotzdem sollte niemand auf die Idee kommen, anderen solche Zustände von Schwäche zu empfehlen oder gar die Schwäche theologisch zu verklären. Da waren die Schüler des Paulus vielleicht doch etwas über-eifrig. Und haben leider auch viele Nachahmungstäter gefunden in den Jahrhunderten seither.
Eigentlich macht es ja viel mehr Spaß, das Wort reichlich zu predigen, wenn die, die es tun, verantwortungsvoll mit ihrem Körper umgehen, ihn jedenfalls so pflegen, dass sie diesen Spaß auch ein wenig genießen können. Dazu gehört, dass wir Orte haben, an denen wir über Leid klagen und jammern können, ohne dass uns jemand quasi automatisch zur Freude ermahnt. Und schon gar nicht zur Freude über Leiden. Dann wird sich vielleicht irgendwann tatsächlich Freude von selbst einstellen – und wir können sie sogar genießen. Und an andere Menschen weitergeben, die das bitter nötig haben.