Thies GundlachJens Schulze / epd-bild
20.10.2010
7. Sonntag nach Trinitatis
Die Juden sprachen zu Jesus: Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Und was für ein Werk tust du? Da sprach Jesus zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Johannes 6,30-35

Assoziationen zu einem Text, der mir fremd ist.

Was mache ich, wenn ich über einen mir fremden Text predigen soll? Erstens: Ich könnte einen Ausweg wählen und einfach einen anderen Text nehmen. Die Gefahr ist, dass ich dann immer nur mich selber wähle. Also bleibe ich bei diesem Text und habe zwei Möglichkeiten. Die eine: Ich kann mit ihm streiten. Vielleicht stoße ich im Laufe eines ernsthaften und nicht vorher schon zu meinen Gunsten entschiedenen Streites auf eine überraschende zweite Weisheit des Textes. Die andere Möglichkeit: Ich kaue so lange darauf herum, bis er seine Süße hergibt. Aber warum sollten Texte der Bibel nicht auch fad sein können, und warum sollte ich dies vor meiner Gemeinde verheimlichen?

Zweitens: Die Frage der Juden: "Was tust du für ein Zeichen?", hat ihr Recht. Es ist eine fast verzweifelte Frage: Wenn du und deine Rede wahr sind, dann weise dich aus! Wir können nicht blind glauben, das verbietet der Glaube selber. Wie viele sind schon gekommen, die sich als Brot ausgegeben haben und die doch nicht mehr brachten als Steine? Es lohnt sich immer die Gegner Jesu ernst zu nehmen. Es sind Menschheitsfragen, die sie stellen. Es lohnt sich immer, sich nicht auf der Stelle auf die Seite Jesu zu schlagen. Die Frage der Gegner: "Was für ein Werk tust du?", hat ihr Recht. Woran sonst soll man einen Menschen erkennen, wenn nicht an seinen Früchten? So hat es Jesus selber gelehrt.

Drittens: "Wer an mich glaubt, der wird nicht dürsten." Die großen religiösen Gestalten weisen in der Regel nicht auf sich selber hin, sie weisen von sich ab, sie weisen auf etwas anderes oder auf einen anderen hin. Jener Jesus aus dem sechsten Kapitel des Johannesevangeliums weist auf sich selber hin. Seine ganze Geste sagt: Ich bin es! Sucht nicht länger, glaubt an mich, und euer Lebensdurst ist gestillt. Ein Glück, dass ich weiß, dass dieses Streitgespräch so viel später Jesus in den Mund gelegt wurde.

Viertens: "Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern." Wie viele haben an ihn geglaubt und haben gehungert? Wie viele haben nicht an ihn geglaubt und haben ebenfalls und ebenso gehungert? Was ist der Unterschied? Wird hier der reale Hunger mit imaginären Broten gestillt? Wird der reale Hunger der armen Menschheit verachtet wie so oft in der Geschichte der Kirchen, indem man behauptet, nur der geistige Hunger zähle und dieser sei jederzeit stillbar durch den Weg zu Jesus? So oft haben die real Hungrigen über ihrem Hunger den Weg zu Christus verloren. Sie konnten über ihrem realen Hunger nicht einmal mehr denken, was geistiger Hunger ist.

Fünftens: Nein, Christus hat sich selber nicht als Ziel verstanden. Er hat sich als Weg gesehen zu jenem Gott; als Brot auf jenem Weg und als Trank. Er führt uns zur großen Musik des Lebens, aber er ist sie noch nicht. Christus ist nicht der Vater, aber in ihm hat jener Geheimnisvolle sein Gesicht gezeigt. Er ist das Wort Gottes, und er ist das lebendig gewordene Bilderverbot. Anders sollen wir das Geheimnis nicht vermuten als in den Worten, in den Taten, im Schicksal jenes Christus. In ihm hat sich das Geheimnis vermummt und offenbart.