Falls "davor" und "danach" überhaupt erlaubte Beschreibungen im Blick auf den sind, der von Ewigkeit zu Ewigkeit regiert, dann heißt das: Werden und Sein, Leben und Licht haben ihren Ursprung bei Gott. Vor ihm gibt es nichts und nach ihm auch nichts. Trotz dieser klaren Aussage ist längst nicht alles klar. Andere Menschen und Völker haben schon gelacht über den Glauben an den Schöpfergott ohne Anfang und Ende, haben ihn verhöhnt, verfolgt, kritisiert oder schlichtweg nicht geglaubt: Das Licht scheint in der Finsternis die Finsternis hat's nicht ergriffen. Das kann man getrost auch immer wieder mal auf sich selbst anwenden, um die Realität der eigenen, endlichen Beschränktheit wahrzunehmen.
Das Wort wird Fleisch, kommt hautnah und bleibt doch missverständlich. Das kommt davon, könnte man sagen, dass die Unendlichkeit, dass der große Gott, sich in die auch große, aber eben doch kleinere Welt hineinbegibt. Das kann ja nicht passen, es muss überall zwicken und zwacken, weil das Erdenkostüm dem Ewigen, Vor- und Überzeitlichen einfach zu eng ist. Irgendetwas daran wird ihm aber doch, mit Verlaub höchst menschlich gesprochen, gefallen haben...? Natürlich. Dieser Gott wurde Mensch, nicht wie die antiken Götter um der eigenen Lustbarkeit willen, sondern um Heil und Leben mit sich zu bringen, um dem Tod seinen Stachel zu nehmen und der Hölle den Sieg. Nichts weniger.
Daran glauben Christen gegen manchen Augenschein und mit jahrtausendealter lebendiger Tradition. Sie glauben es unter irdischen, nicht paradiesischen Bedingungen. Dazu gehört die Erfahrung, wie sie der Dichter Gottfried Benn in seiner nihilistischen Skepsis formuliert hat: "Ein Wort, ein Satz : Aus Chiffren steigen / erkanntes Leben, jäher Sinn... / Ein Wort ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, / ein Flammenwurf, ein Sternenstrich / und wieder Dunkel, ungeheuer, / im leeren Raum um Welt und Ich." Aber selbst wenn es manchmal johanneisch finster, im Sinne Benns dunkel scheint, bleiben doch der Glanz, das Licht, bleiben göttliches Feuer und Leben weil sie nicht an unsere Wahrnehmung gebunden sind, obwohl sie sich daran gebunden haben.
Das Wort ward Fleisch. Wer Gestalt gewinnt, wer Kontur, Profil besitzt, setzt sich wie der Gottessohn von Kind auf dem Erkennen aus, muss vermeintlich erkannt fremde Bilder von sich ertragen, Projektionen aushalten oder zurückweisen. Wer erkennbar ist, wird schnell eingeengt, gekreuzigt. Doch trotz aller gegenläufigen Versuche ist es nicht möglich, sich von Gott und Mensch ein unverrückbares Bild zu machen, sie festzulegen auch wenn sie sich offenbaren in ihrem Wesen. Und: Das Geheimnis muss gewahrt werden, wenn die Faszination bleiben soll. Das gilt auch vom Glauben an Gott man kann ihn nicht für tot erklären, ihn beweisen oder ganz und gar in die eigene Weltlichkeit hineinziehen. Denn dann ist es für einen selbst und für andere aus mit der unergründbaren Faszination und dem Erschrecken über das, was die eigene Endlichkeit in ein Unendliches hebt.
Karl Kraus hat in einem Aphorismus einmal gesagt: "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück." Eine zu große Nähe verfälscht den Blick, Konturen verschwimmen. Erst Gott Gott sein lassen, als den offenbarten und den verborgenen, und Menschen in der zarten Balance zwischen Distanz und Nähe begegnen schafft Raum für Dasein.