Fast 270.000 Deutsche verließen Deutschland im Jahr 2022, ein Rekordwert der letzten Jahre. Die meisten Deutschen gingen in die Schweiz, nach Österreich und in die USA. Die zweitgrößte Abwanderungsgruppe waren Rumänen (178.000 Menschen), gefolgt von Ukrainern, Polen und Bulgaren.

340.234 Menschen, die zwischen Februar 2022 und Mitte April 2024 aus der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, sind im Ausländerzentralregister (AZR) nicht mehr aufgeführt – sie haben entweder das Land verlassen oder sind gestorben (Stand: 17. April 2024).

Einige von ihnen kehrten in ihre Heimat zurück, andere wanderten in andere Länder aus. Davon sind etwa 50 % junge Köpfe und hochqualifizierte Fachkräfte im Alter von 25 bis 45 Jahren. Mit anderen Worten: Die Fachkräfte, an denen es in Deutschland so mangelt und um die es kämpft, verlassen das Land.

"Zusätzlich zu den hohen Steuern nehmen in Deutschland bürokratische Prozesse zu viel Zeit und Ressourcen. Das ist überhaupt nicht das, was diejenigen brauchen, die ein erfolgreiches Unternehmen eröffnen wollen. Damit ein kleines oder mittleres Unternehmen dem Land wirklich nützt und es wirtschaftlich und kulturell weiterentwickelt, muss es unterstützt werden. Wenn nicht aus Sicht des Steuersystems, dann zumindest nicht, um ihm Energie und Zeit für unnötige Bürokratie zu rauben", sagt die 38-jährige Ukrainerin Olesya. Sie kam 2014 nach Deutschland und schloss ihr Marketingstudium an der Universität Mainz ab.

Danach eröffnete sie ein Geschäft für Wellnessprodukte, da sie bereits ähnliche Erfahrungen in der Ukraine gemacht hatte. Doch nach drei Jahren geschäftlicher Tätigkeit in Deutschland entschloss sie sich, mit ihrem deutschen Mann in die USA auszuwandern.

"Ein erfolgreiches Business ist ein Business, das schnell reagieren kann. Leider geht das nicht in Deutschland. Hier kann man monatelang auf den nötigen Unterlagen oder Termine warten. Überall sind nur Papierbriefe benötigt. Vielleicht war das früher ein Pluspunkt und hat wirklich effektiv funktioniert, aber nicht in der modernen Welt. Die Welt hat sich sehr verändert. In Zukunft werden die besten Fachkräfte in den Ländern aufgenommen, die dies erkennen", teilt Andrey (31 Jahre alt) seine Erfahrungen.

Im Jahr 2019 eröffnete er sein eigenes IT-Dienstleistungsunternehmen in Deutschland. Doch vier Jahre später verlagerte Andrei sein Unternehmen und seine Familie nach Portugal, wo er heute lebt.

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Das Problem ist jedoch nicht nur im Bereich der Selbstständigkeit und Unternehmensführung zu beobachten. So spricht die Ukrainerin Anna, 32 Jahre alt, darüber. Sie kam im März 2022 nach Deutschland und da sie langjährige Erfahrung hatte, sowohl Englisch als auch Deutsch sprach, fand sie schnell einen Job als Social-Media-Managerin.

"Ich wollte nicht vom Staat abhängig sein, denn mein ganzes Leben lang hatte ich mich nur auf mich selbst verlassen. Ich war froh, einen Job in Deutschland zu finden, und habe daher sehr versucht, meine Berufserfahrung einzubringen. Ich habe regelmäßig Präsentationen mit meinen Ideen vorbereitet und fast jede Woche sie meinem Chef vorgeschlagen. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, dass ich die Probezeit nicht bestanden habe! Aber das hat mich nicht aufgehalten. Zwei Monate nach meiner Kündigung fand ich eine neue Stelle im gleichen Bereich. Ich nahm erneut eine aktive Position ein, aber dieses Mal wurden alle meine innovativen Ideen ignoriert. Ich wurde nicht entlassen, aber ich selbst habe beschlossen, Deutschland zu verlassen. Grund: Ich denke, dieses Land ist nichts für junge und aktive Menschen. Das heißt, junge Talente müssen Jahre warten, bis sie gehört werden. Vielleicht sagen deshalb viele Ausländer, Deutschland sei altmodisch. Das hat seinen eigenen Charme, dient aber definitiv nicht der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung. Vielleicht stagnieren deshalb einige Bereiche, weil das Land für Business-Innovatoren nicht sehr attraktiv ist. Ich bin definitiv keine Egoistin, aber es war schon immer so: Fortschritt gehört den Jungen. Das heißt, wer keine Angst davor hat, Risiken einzugehen, dennoch Ambitionen hat und bereit ist, für seine Ideen zu kämpfen. Aber Innovation und Entwicklung finden dort statt, wo sie gebraucht werden".

Selbstverwirklichung als Hauptwert

In diesem Text spreche ich nur über aktive talentierte junge Menschen und hochqualifizierte Fachkräfte. Über diejenigen, die über ein hohes Maß an Selbstorganisation, kritischem Denken und Ehrgeiz verfügen. Und bei Profis gibt es auch langjährige Arbeitserfahrung. Es gibt nicht in jedem Land sehr viele solcher Menschen. Es sind jedoch diese Menschen, die die Entwicklung des Landes wirtschaftlich, kulturell und technologisch vorantreiben. Für solche Menschen ist Selbstverwirklichung von entscheidender Bedeutung. Wenn die Bedingungen ihres Wohnsitzlandes sie an der Entwicklung hindern, verlassen sie das Land. Die Hauptkriterien für die Migration dieser Menschen sind:

1. Physisch und geografisch sicher

2. Attraktives Steuersystem (insbesondere für Selbstständige und Unternehmer)

3. Flexibles bürokratisches System

4. Nicht zu staatliche Kontrolle, demokratische Werte

5. Marktentwicklung (Konkurrenz, Zielgruppe, Innovationsunterstützung)

Es ist klar, dass es fast unmöglich ist, alle Punkte innerhalb eines Landes zusammenzufassen. Jeder wird Kompromisse eingehen müssen. Fakt ist aber: hochqualifizierte Fachkräfte, "junge Köpfe" und "Motoren des Fortschritts" werden nicht dorthin abwandern, wo es die höchsten Sozialleistungen gibt, sondern dorthin, wo sie ihre Ideen verwirklichen können.