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Pünktlich sechs Monate nach dem Hochwasser veranstalten die evangelischen Gemeinden an der Ahr ein konfessionell sortenreines „Evangelisches Halbjahresgedenken für die Betroffenen der Flut im Juli 2021“.
Die Veranstaltung gibt es gleich im Doppelpack: am 14. Januar in Ahrbrück, am Tag darauf in Neuenahr. Die Premiere schafft es in die Tagesschau mit Caren Miosga, der Folgetermin immerhin noch ins Dritte. Dabei ist die Bühne in Neuenahr spektakulärer: Eine zerknüllte Fußgängerbrücke aus Eisen, die in den Kurpark gespült wurde und offenbar als erhaltenswertes Denkmal eingeschätzt wird. Ein Schild „Bitte liegen lassen“ hat jedenfalls Altmetallsammler von der pfundigen Beute ferngehalten.
Mehr als dreimal so viele Menschen als beim Spaziergang der Querdenker am Tag davor
Als ich mich der erleuchteten Szenerie am Spätnachmittag nähere, bin ich erfreut: Da sind mehr als dreimal so viele Menschen als beim Spaziergang der Querdenker einige Tage zuvor. Allerdings wird auf den ersten Blick eine gewissen Einheitlichkeit erkenntbar: Es sind die, die sonst auch da sind, binnenkirchliches Milieu würde die Soziologin wohl sagen.
Die Ortspfarrerin und der Ortspfarrer leiten die Andacht. Das heißt, sie erklären uns, wie es ihrer Meinung nach alles so war und wie es jetzt ist. Sie sind gern „bei de Leut“, das merkt man ihren Ausführungen an. Vor ihnen steht ein kleines Kreuz, das nach der Flut eigens vom künstlerisch ambitionierten Kunstschmied Rüdiger Schwenk gestaltet wurde. Unter dem Kruzifix stecken 134 Nägel im Sockel – „für jedes Opfer einer.“
Ob ihnen das gefallen hätte? So "festgenagelt" zu werden?
Ich muss an Frau Schimansky denken, die ein freiheitsliebender Mensch mit eigenem Kopf war, an Andy, den Buddhisten, der gerne Zitronenkuchen aß, an meine Freundin Petra, die ihre Silvia liebte und die Kirche nicht so sehr. Ob denen das gefallen würde, so, nun ja, "festgenagelt" zu werden?
Mir fällt der Arzt ein, der sich das Leben nach der Flut nahm und auch die alte Mutter von Hubert, meinem Nachbarn, die in seinen Armen starb, weil kein Arzt zu ihnen ins Haus gelangen konnte. Sie sind nicht festgepinnt auf die Flut-Devotionalie. Gehören die nicht dazu?
Jesus war dabei - So einfach kann es sein
Es ist alles gut gemeint, was die Pfarrpersonen dort performen, der Pathos, die „Ich-verstehe-euch-alle-weil-wir-alle-gemeinsam-auf-dem-Weg-sind“-Mentalität. Es sei „alles so nebeneinander“ jetzt, stellt die Pfarrerin fest. Das Gottesvolk darf den Ausführungen lauschen, keine Stille, keine tröstenden oder klagenden Lesungen aus der Heiligen Schrift stören die Stimmungsbilder des Klerus. Es wird aufgeboten, was die Bibel vermeintlich Einschlägiges zu bieten hat zur Ahrflut und alles scheint irgendwie mit allem verbunden. Der Pfarrer stellt sich selber die Frage, wie er das alles aushalten kann, um gleich im nächsten Satz die Antwort parat zu haben: Jesus war in Tiefgarage und Kellern bei den Ertrinkenden anwesend bis zu deren letztem Atemzug und subito weiter in die Ewigkeit. So einfach kann es sein.
Für immaterielles Kulturgut gibt es leider keine Alarmanlagen
Als letztes Lied „Der Mond ist aufgegangen“. In der ersten Corona-Welle wurde es (nicht nur) von Protestanten vom Balkon gesungen, um das Virus zu verscheuchen, jetzt in der vierten dient es noch als wohliges Finale der Flutandacht. Der gute Mond zieht allerdings die Wolkendecke erst gar nicht beiseite. Bildende Kunst kann man vor Missbrauch schützen, für immaterielles Kulturgut gibt es leider keine Alarmanlagen.
Nach dem mit der altkirchlichen Formel „In diesem Sinne ...“ eingeleiteten Segen dankt die Pfarrerin allen fürs Kommen und weist auf die „Uferlichter“ hin. Das ist eine fußläufig stattfindende touristische Veranstaltung, bei der Alkoholika ausgeschenkt werden. Vielleicht ist das die nüchterne Quintessenz nach dem ersten Halbjahr der Evangelischen: Gedenken ist ein riskantes Unterfangen und wer Sorgen hat, hat auch Likör.
Beitrag zu "Thomas Rheindorf - Jesus war bei den Ertrinkenden"
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Sehr geehrtes Chrismon-Team,
mit zunehmender Fassungslosigkeit habe ich den Blog-Beitrag von Thomas Rheindorf gelesen. In unerträglich ätzender und diffamierender Weise äußert er sich zu dem von ihm besuchten Gedenk- Gottesdienst. Darum habe ich beschlossen, darauf zu reagieren.
Herr Rheindorf suggeriert, dass die ausführenden Pfarrpersonen nicht zu den Betroffenen gehören. Es sind die direkten GemeindekollegInnen von Herrn Rheindorf und sehr wohl vom Hochwasser betroffen. Herr Rheindorf schreibt hier wider besseren Wissens. (Mittlerweile ist dieser Teil des Artikels schon entfernt worden.)
Zudem bin ich beschämt über seine Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk, das im Gedenk-Gottesdienst vorgestellt wird. Statt einer kritischen Auseinandersetzung zieht Herr Rheindorf die Namen von Verstorbenen hinzu, um sie für seine abwertende Beurteilung des Kunstwerks zu instrumentalisieren. Das irritiert mich sehr und beschämt mich.
Zuletzt muss sich ein Kind, das ein Gemeindelied auf einer Blockflöte begleitet, auch noch respektlos und abwertend vorführen lassen. Auch dieser Absatz wurde vorhin schon aus dem Beitrag herausgenommen.
Herr Rheindorf kritisiert die Umsetzung des Liedes "Der Mond ist aufgegangen". Warum? Darf es nur gesungen werden, wenn Herrn Rheindorf dem zustimmt?
Er schließt den Artikel mit dem Hinweis auf Alkohol und Likör. Seltsam unpassend.
Ich war nicht bei diesem Gedenk-Gottesdienst. Ich kann keine Beurteilung über Inhalt und Form äußern. Ich kann aber sehr deutlich äußern, dass dieser Blog-Beitrag falsche Behauptungen enthält, in unschöner Art Verstorbene instrumentalisiert und selbst vor Diffamierung von Kindern nicht Halt macht.
Dieser Ton ist mir schon bei anderen Blog-Beiträgen von Herrn Rheindorf negativ aufgefallen.
Mir ist bewusst, dass Blog-Beiträge von anderen Chrismon-Artikeln zu unterscheiden sind.
Aber "Chrismon" steht für niveauvolle, kritische Berichterstattung und reflektierte Meinungsäußerung. Beides finde ich hier leider nicht.
Mit freundlichen Grüßen,
Astrid Krall-Packbier
Zu Rheindorfs „Jesus war bei den Ertrinkenden dabei - ..."
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Ab und zu streife ich sie, Rheindorfs Kolumnen aus dem verwüsteten Ahrtal: Stimmungen kann er trefflich einfangen, immer gewürzt mit feinem Hintersinn und Ironie, manchmal bissig. Mit seiner Kommentierung der Veranstaltungen zum Halbjahresgedenken an die Opfer der Flutkatastrophe, an der ich leider nicht teilnehmen konnte – oder sollte ich besser sagen, glücklicherweise, sonst hätte ich seinen Unmut angesichts des binnenkirchlichen Milieus noch verstärkt – legt er manchen Finger in die Wunde(n); auch in seine eigenen? Ich würde mich jedenfalls ganz sicher ehrlich über seine Andachten im außerkirchlichen Milieu freuen. Über Kunst kann man streiten, das ist eine Binsenweisheit. Das Flutweinfass mit Nägeln für jedes Todesopfer, einem geschmiedeten Kreuz, durch das sich eine goldene Rose windet, mir hat es zuvor schon gefallen und seine Gegenwart scheint mir ein würdiger Anlass zum Trauern zu sein. Nur zu dumm, dass der Künstler weitere Opfer übersehen hat. Allerdings habe ich die Nägel nicht nachgezählt, hätte ich? Der Vorwurf des Missbrauchs immateriellen Kulturgutes, des altbekannten Kirchenliedes „Der Mond ist aufgegangen“ wiegt schwer. Daran hätten sich sogar Querdenker und Coronaleugner zu Beginn der Pandemie reiben können, als dieses Trost- und Mutmacherlied von den Balkonen gesungen wurde. Und auf die Idee, die „Uferlichter“ mit Alkoholkonsum gleichzusetzen, muss man erst mal kommen. Ich jedenfalls, der ich diese Veranstaltungsreihe zur Weihnachts- und Winterseligkeit kenne, assoziiere angesichts der derzeitigen Tristesse damit eher das Licht am anderen Ufer.
Ich stimme zu, dass man so manches zu Recht hinterfragen kann. Irritiert suche ich aber in diesem Blog vergeblich nach dem einen Lichtpunkt, dem Hoffnungsschimmer, den ich sonst doch irgendwo immer entdecken konnte; stattdessen nur Destruktion. Lieber Thomas, entweder Du hast ein Problem mit Deinen Kolleg*Innen, oder sie mit Dir. Es scheint mir, als ob gerade erneut eine Flutwelle nur diesmal durch unsere Kirchengemeinde rollt. Welches Helfershuttle mag da etwa zum Aufräumen kommen?
Andreas Zedler