Vertraut den neuen Wegen
Wir wollen abgesichert sein. Aber wer versucht, alle Risiken auszuschließen, verpasst das Leben.
Thomas Meyer/Ostkreuz
24.11.2021

Vorgelesen: Auf ein Wort "Vertraut den neuen Wegen"

Auf Nummer sicher gehen, Vorsorge treffen, Risiken vermeiden – das scheint nicht die Sache des Wanderpredigers Jesus gewesen zu sein. "Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet", sagt er in der Bergpredigt, "auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?" 

Thomas Meyer/Ostkreuz

Heinrich Bedford-Strohm

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Jahrgang 1960, ist seit 2011 Landes­bischof der Evangelisch-Lutherischen ­Kirche in Bayern. Bis November 2021 war er Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Herausgeber des Magazins chrismon. Bevor er Bischof wurde, war er an der Universität Bamberg Professor für Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen.

Auf den ersten Blick wirkt eine solche Unbefangenheit befremdlich. Wir wollen abgesichert sein. Die Versicherungs­branche hat gute Umsätze. Und dass wir alle wie Wanderprediger von einem Tag auf den anderen leben, wird wohl kaum jemand heute als notwendigen Teil einer christlichen Existenz sehen.

Sorglosigkeit kann schnell zu Leichtsinn werden. Und wenn es, wie das bei einem sorglosen Umgang mit Corona-Risiken der Fall ist, nicht nur um einen selbst, sondern auch um andere geht, kann Sorglosigkeit zur Verantwortungslosigkeit werden. Aus Sorglosigkeit das Impfen zu unterlassen und sich womöglich noch auf Gottvertrauen zu berufen, wäre abstrus. Impfen ist der beste Schutz nicht nur für mich, sondern auch für andere. Und deswegen auch ein Ausdruck von Nächstenliebe. 

Das Sicherheitsdenken nimmt zu

Trotzdem kann die Sorge überhandnehmen. Bei einem immer größer werdenden Sicherheitsdenken in allen ­Bereichen des Lebens geht auch etwas verloren. Ich kann mich noch an dieses Gefühl als junger Vater erinnern, meinen Sohn vor allen Risiken schützen zu wollen. Als Kleinkind beim Klettern auf dem Spielplatz, später dann, als er lernen musste, sich im Straßenverkehr allein zu bewegen. Zu schlimm war die Vorstellung, es könnte ihm etwas passieren. Zugleich wusste ich: Er wird nur selbstständig leben lernen, wenn ich die Kontrolle abgebe. Wenn ich ihm nicht wichtige Lebenserfahrungen nehme, weil die Risikovermeidung alles beherrscht. Wenn ich als Vater nicht aus der Angst lebe, sondern vertraue.

Und wie wird es werden, wenn wir die Pandemie ­überwunden haben werden? Wird es ein Luxus sein, die Gesichter der anderen zu sehen, weil Maske zu tragen gegen Viren aller Art auch dann sicherer sein wird, als keine zu tragen? Werden wir uns überhaupt noch unbefangen umarmen oder auch nur die Hand geben wollen, weil uns die Angst vor Ansteckung in Leib und Blut übergegangen ist? Weil wir aus Angst vor Risiken für unser Leben das tatsächlich gelebte Leben präventiv einhegen? 

Man kann nicht alle Risiken ausschließen

Ich möchte das nicht. Leichtsinn zu vermeiden, ist ­richtig. Aber das Leben zu verpassen, weil wir jedes ­R­isiko ausschließen wollen, wäre ein zu hoher Preis. Beide ­Perspektiven haben ihre Berechtigung, wenn es um das richtige Maß bei den Corona-Maßnahmen geht. Auch der Blick auf die seelische Inzidenz. Mir ist in der Pandemiezeit ein Wort aus der Bibel besonders wichtig geworden: "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit" (2. Timo­theus 1,7). Besonnenheit heißt beides: Leichtsinn ver­meiden. Aber auch Kontrollzwang aufgeben.

 "Sorgt euch nicht um euer Leben" – Jesu Aufruf ist ­keine Einladung zu Leichtsinn oder Verantwortungslosigkeit. Sondern eine Einladung zum Vertrauen. Vertrauen kann man nicht herzaubern. Vertrauen und Gewissheit können wachsen, wenn wir die Texte der Bibel in unserer Seele wirken lassen. Die Adventszeit kann dabei ­helfen. Sie kann helfen innezuhalten, auf die Lichter in der Dunkel­heit zu schauen und das Licht zu spüren, das auf Weihnachten hinführt.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.
Permalink

"Leichtsinn ver­meiden. Aber auch Kontrollzwang aufgeben."

-Resepekt, Herr Bedford-Strohm.
Leider kommt diese Einsicht etwas spät. Zu spät.
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat unter Ihrer Leitung in der akuten Phase der Covid19 Operation leider nichts dergleichen verlautbaren lassen. Viele Menschen mussten die Erfahrung machen, dass die Kirche sie alleine gelassen hat und keinerlei Gottvertrauen erkennen ließ. Wie die ital. Philosoph Agamben schon vor mehr als einem Jahr anmerkte:

https://www.herder.de/cig/cig-ausgaben/archiv/2020/47-2020/religion-medizin-oder-der-arzt-christus/

Kirchenvertreter klammerten sich verzweifelt an die immer rigider werdenden Maßnahmen des Staates und setzen -bis heute- ihre einzige Hoffnung auf eine vermeintliche "Impfung". Obwohl sowohl die Inzidenz- als auch Übersterblichkeitszahlen nach einem Jahr intensivsten Injektionen so hoch wie noch nie sind!
Die Spirale der Panik und Freiheitseinschränkungen dreht gnadenlos weiter.

Die EKD hätte die Corona-Pandemie nutzen können und den Menschen ihre sprichwörtliche 'Heidenangst' vor Krankheit, dem unausweichlichen Tod und ihrem Schicksal nehmen und dagegen die supra-naturale Erlöserkraft des Sohnes Gottes Jesus Christus verkündigen können.

"Die EKD hätte die Corona-Pandemie nutzen können und ..... die supra-naturale Erlöserkraft des Sohnes Gottes Jesus Christus verkündigen können."

Aha! Steht doch so ähnlich schon in der Bibel. Kommt her zu mir alle, die ihr ungeimpft und deshalb auf den Tod krank seid, ich will euch erlösen!

Fritz Kurz

Permalink

"Sorget nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken und womit ihr euch kleiden werdet," sagt Jesus.
Muß Bischof Bedford-Strohm wohl auch nicht, denkt man sogleich beim frohgemuten Gesichtsausdruck des ehemaligen Ratvorsitzenden. Und was "auf ein Wort"denken dabei Menschen an der Ahr? Man kann es sich lebhaft vorstellen.
Angesichts von Millionen Coronaopfern, vernichteten Existenzen, einer Flutkastatrophe mit ebenfalls vielen Toten und mit Verlust von Hab und Gut vieler bei uns und Armuts-, Klima-, Flüchtlings- und Kriegsängsten, und so zahlloser weiterer Krisen in der Welt hätte man einmal ein mitfühlenderes Wort zu Betroffenen , einen Mitleid und Hilfe bekundenden Besuch oberster Kirchevertreter an der Ahr oder falls erlaubt auf Intensvstationen (gehört habe ich jedenfalls davon nichts) und die Frage erwartet, ob wir insgesamt auf dem richtigen Weg sind.
Immerhin war die Adventszeit in der langen Kirchengeschichte Bußzeit.
Aber doch heute nicht mehr!!!
Nicht einmal irgendein Wort der Kirche von Belang am Buß-und Bettag! Der scheint nicht nur als gesetzlicher Feiertag abgeschafft, weil Gott liebt doch bedingungslos alle
Menschen! Aber auch hier fehlt momentan
irgendwie die vollmundige Sprache. Kurzum: die Unbußfertigkeit unseres Volkes und unserer Kirche wird m.E.
bisher noch nicht übersehbare Folgen haben.
Dr. Robert Fischer

Permalink

Schön geschriebener Text, den ich Jesus, der quasi von der Hand in den Mund (vor-)lebte, der nicht wußte, wo er schlafen soll, auch abnähme. Aber von einem leitenden Geistlichen mit sicherem Status "Beamter im Kirchendienst" empfinde ich die Zeilen einfach nur provokant.
Norbert Sinofzik, Rheinstadt Uerdingen

Permalink

Und das ist dann auch eine Frage der ganz persönlichen Eigenschaften, für die niemand verantwortlich sein möchte.