Das Ende war grausam. Ein Blutbad beendete im Juni 1535 nach monatelanger Belagerung das evangelische Täuferreich von Münster. 650 Bewaffnete aus der Stadt wurden getötet, die drei Anführer der Täuferbewegung monatelang gedemütigt und herumgezeigt, dann vor der Lambertikirche zu Tode gefoltert. Ihre toten Körper wurden in eisernen Käfigen hoch an den Türmen der Kirche zur Schau gestellt. Schluss war mit dieser radikalen Bewegung, die Katholiken und moderate Protestanten aus der Stadt vertrieben und ihre Häuser verwüstet hatte, die die Gütergemeinschaft erzwang, Polygamie einführte, Abweichler enthauptete und den Weltuntergang für das Jahr 1534 herbeiredete. Der dann aber doch nicht kam.
Für Philipp Melanchthon waren die Täufer böse Häretiker, Ketzer. Diese Bewegung stellte die Säuglingstaufe in Frage, sie taufte die Erwachsenen einfach erneut. Doch vor allem warfen die Reformatoren den Täufern vor, sich durch ihr radikales Handeln selbst erlösen zu wollen – unvereinbar mit dem biblischen Glaubenssatz, dass nur Gott den Menschen befreit. Melanchthon, der Vertraute Martin Luthers und Professorenkollege, verhielt sich zwar in vielen Fragen versöhnlicher als Luther.
Doch was den Umgang mit den Täufern anging, kannte auch er keine Zurückhaltung. Warum gerade Reformatoren so unnachgiebig mit denen umgingen, die sie für Häretiker hielten, lässt sich nur schwer sagen. Eigentlich sollte ihre Lehre von der Freiheit eines Christenmenschen doch auch für alle gelten. Doch die Reformatoren waren so erfüllt von dem Wunsch, den mühsam erneuerten Glauben zu schützen, dass sie keinen Rückschlag riskieren wollten.
Die Reformatoren trugen viel dazu bei, den Hexenglauben zu verbreiten
Der griechische Begriff „haíresis“ bedeutet Wahl, Auffassung. Es geht also um Ansichten, die von der Meinung des Betrachters abweichen. Anders verhielt es sich mit den Hexen. Ihnen wurde nachgesagt, Gespielinnen und Gehilfen des Teufels und in seinem Auftrag für tatsächlichen „Schadenzauber“ verantwortlich zu sein für Unwetter, Hungersnöte, Kindstod und Seuchen. Für Martin Luther und Philipp Melanchthon war die Existenz von weiblichen und männlichen Hexen eine ausgemachte Sache.
In seiner Zeit in Tübingen, also vor dem Jahr 1518, sah Melanchthon „in jeder Nacht Flammen, die so lange brannten, bis sie in einem gewaltigen Rauch aufgingen. Gleichfalls erschienen mir in Heidelberg Gestalten wie fallende Sterne, die jede Nacht kamen. Das sind ohne Zweifel Teufel, die immerfort unter den Menschen umherschweifen.“ 20 evangelische Prediger veröffentlichten 1569 in Frankfurt am Main ein „Theatrum Diabolicum“, einen leicht verständlichen Ratgeber für den Umgang mit Hexen und Zauberern. Sie stützten sich dabei auf die Urteile Martin Luthers.
Erst im 13. Jahrhundert wurden Inquisitionsprozesse populär
Wie kam es zu solchen kollektiven Fantasien? Noch Papst Gregor VII. hatte 1080 die Unsitte kritisiert, die Schuld an Unwettern und Krankheiten „Hexen“ zuzuschreiben. Doch schon 100 Jahre später galt das nicht mehr. 1184 ordnete Papst Lucius III. an, Häretiker gezielt zu verfolgen. Ein umfangreiches Regelwerk für Inquisitionsprozesse gab es seit dem Vierten Laterankonzil 1215. Ein Anlass: die Verfolgung der Katharer in Südfrankreich. Diese hielten alles Irdische für böse, für eine Schöpfung des Teufels, das nur durch ein Leben in Askese und Armut zu bekämpfen war. Aus dem Namen Katharer hat sich der Begriff Ketzer entwickelt.
Dreihundert Jahre später gab Melanchthon seine bekannte diplomatische Zurückhaltung vor allem wegen der Radikalität der Täufer auf. 1531 verfasste er auf Bitten des sächsischen Kurfürsten ein ausführliches Gutachten über die Todesstrafe. Der Duktus: Besser die Täufer sind tot, als dass sie falsche Lehren verbreiten. Radikale Täufer wie jene in Münster gibt es nicht mehr. Die sehr geachtete Friedenskirche der Mennoniten, aus der Schweizer Täuferbewegung hervorgegangen, distanzierte sich früh von den Münsteranern. Sie ist heute aktives Mitglied der ökumenischen Bünde in Deutschland und auf Weltebene.
Eigentlich und uneigentlich
Im Artikel steht: "Eigentlich sollte ihre Lehre von der Freiheit eines Christenmenschen doch auch für alle gelten." Darf ich darauf hinweisen, dass mit dem Wort "eigentlich" jeder Versuch einer Erklärung abgebrochen wird? Eigentlich heißt: "Ich habe mir da was Schönes gedacht. Nun ist es ganz anders gekommen. Das passt mir nicht und ich beschimpfe die besprochene Sache dafür, dass sie gepatzt und meine schönen Erwartungen nicht erfüllt hat."
Das Argument "eigentlich" ist ein starker Hinweis darauf, dass das, was der erläuterten Sache zu eigen ist, eben gerade nicht erfasst worden ist. Vielleicht sogar nicht erfasst werden, sondern be- und entschuldigt werden soll. Das wäre das glatte Gegenteil einer Erklärung.
Thea Schmid
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