Foto: epd-bild/Andreas Schoelzel
Foto: epd-bild/Andreas Schoelzel
epd-bild/Andreas Schoelzel
Sexualität ist ein wunderbares Geschenk Gottes
Evelyn Dragan
15.11.2010

Was sagt eigentlich die evangelische Kirche zum Thema Sexualität? Jemehr das Thema des Missbrauchs öffentlich diskutiert wird, umso häufiger taucht diese Frage auf. Ich habe gesucht und einen Text der EKD aus dem Jahr 1971 gefunden. Bei der Lektüre wird schnell klar: Es hat sich seither viel verändert in der Einstellung zur Sexualität. "Zusammenleben ohne Trauschein" etwa steht nicht mehr unter dem Generalverdacht der Promiskuität. Und was ist mit der Schwangerschaftsverhütung? So ist es gut und wichtig, dass der Rat der EKD einen neuen Text zum evangelischen Verständnis der Sexualität in Auftrag gegeben hat.

Religiös könne der Mensch heute nur noch im Kloster sein, hat der Philosoph Herbert Schnädelbach auf dem Zweiten Ökumenischen Kirchentag in München gesagt. Dem möchte ich widersprechen. Nicht nur das Kloster, sondern auch die Welt kann ein Ort der Bewährung des Glaubens sein, wie schon Martin Luther deutlich machte. Er hat durch seine Heirat mit Katharina von Bora und durch die eigene Kinderschar ein Zeugnis davon gegeben, dass Sexualität eine gute Gabe Gottes ist. Ja gewiss, auch Enthaltsamkeit und Zölibat können fromme Lebensformen sein. Übrigens gibt es auch evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer, die zölibatär leben. Aber es gilt, nicht die eine Lebensform gegen die andere auszuspielen.

Das Thema Sexualität enttabuisieren - aber im menschenfreundllichen Sinne

Es wäre falsch, Sexualität theologisch generell in das "Reich des Bösen" zu verdammen. O ja, die Opfer von Missbrauch und sexueller Gewalt müssen gehört werden, das ist entscheidend, das ist der gut biblische Ansatz für Versöhnungsprozesse. Und die Täter müssen einen Raum finden, ihre Schuld zu bekennen, damit Neuanfang möglich ist. Ein wichtiger Beitrag dazu wäre die Enttabuisierung des Themas Sexualität. Nicht in Richtung Pornografie und Sexualisierung einer Gesellschaft - das führt zu menschenverachtenden Auswüchsen. Aber ein Vater, der ein sexuelles Begehren zur Tochter spürt, muss wissen, was erforderlich ist: Ehrlichkeit gegenüber sich selbst, eine Therapie, klare Umgangsformen und Grenzziehungen. Es gibt solche Begierden - wie befreiend wäre es, sie aus dem Bereich des Verschweigens und Vertuschens zu holen, der den Missbrauch erst möglich macht, und der Angst und Schrecken verbreitet, die Menschen ein Leben lang verfolgen und belasten.

Zwei Menschen "erkennen" sich, wie es die hebräische Bibel beschreibt. Sie vertrauen sich einander an, erfahren intensive körperliche Nähe. Die Bibel kann das preisen, etwa im Hohelied Salomos: "Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden" (4,5). So mancher Konfirmand kommt ins Staunen darüber, was da in der Bibel steht. Sie können auch nachlesen, wie David Bathseba begehrte, als er sie beim Baden sah, und wie dieses unrechte Begehren zu entsetzlichem Unglück führte.

Wenn zwei Menschen sich lieben, ist das wunderbar. Nach evangelischem Verständnis ist Sexualität nicht an den Zeugungswillen gebunden, sondern zunächst ein Akt der Freiheit, sich einander hinzugeben. Achtung und Respekt - die den anderen oder die andere nicht zum Objekt machen - spielen dabei die entscheidende Rolle. Schwangerschaftsverhütung ist nach evangelischer Ethik Bestandteil verantwortlicher Elternschaft. Entscheidet sich ein Paar für ein Kind, wird es eine neue Dimension der Liebe erleben, bereichert durch ein wunderbares Geschenk. Sprechen wir also nicht nur über Missbrauch, Liebe als Geschäft, Erniedrigung, Verbote. Sehen wir auch: Sexualität, verantwortlich gelebt, ist eine gute Gabe Gottes.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.
Permalink

Hallo zusammen,

leider kann ich nicht verstehen, warum sich Leute überhaupt Gedanken darüber machen, ob Sex und Glaube sich miteinander vereinbaren lassen. Natürlich geht das, denn ganz natürlich hat Gott uns mit einem Verlangen danach ausgestattet. Was ist denn daran so schlimm? Ich finde, Sex verbindet Männer und Frauen, so unterschiedlich wie wir auch oft denken mögen. Was sollte Gott dagegen haben, wenn wir uns unbekleidet mal einig sind? Und nicht nur, um Kinder zu zeugen. Das geht später immer noch. Es ist doch einfach nur schön, mal so zu tun als ob, wenn man sich liebt. Man muss gerade in diesen Zeiten doch auch mal spüren, dass man noch lebt.

Permalink

Sexualität ist schön und ein Geschenk Gottes. Aber Sexualität ist Ausdruck von Liebe, die in einer treuen und verantwortlichen Beziehung gelebt werden soll. Wenn Sex nicht aus Liebe geschieht, sondern nur zur Triebbefriedigung dient, dann degradiert man den anderen Menschen zum Objekt und das ist Sünde. One-Night-Stands, Prostitution und Pornographie machen Sexualität zur Ware und entkoppeln sie von der Liebe.

Permalink

Absurd dieses Thema! Es ist ein Beleg purer Hilflosigkeit, wenn von "höchster Instanz" geglaubt wird, dass dringender Bedarf besteht. Es sei denn, man geht davon aus, dass alle Gläubigen sich auch nächstens in so hohen Sphären bewegen, dass sie ihrer eigene Natur nicht mehr gewiss sind.

Permalink

Es ist typisch für unsere Gesellschaft, bei allem was Sexualität betrifft zu polarisieren. In dem einen Zusammenhang wird sie zur "schönsten Nebensache der Welt" deklariert, gar als "körperliche Liebe" begriffen. Auf der anderen Seite alles was vom gesellschaftlichen Ideal abweicht abgewertet, tabuisiert, teils dämonisiert. Dabei sieht die Realität unseres sexuellen Alltags ganz vielfältig aus. So wie in anderen wichtigen Lebensbezügen auch, steht als schön und positiv Bewertetes neben schlimmen und negativen Erfahrungen. Meistens ist der sexuelle Alltag banal, durchschnittlich, wenig spektakulär. Manchmal besonders. Auf dem Weg vom Kind zum sexuell reifen Erwachsenen müssen Menschen lernen, mit dieser Ambivalenz, enttäuschten Erwartungen und unerfüllten Wünschen umzugehen. Sexueller Missbrauch ist weit verbreitet, er bildet den Schatten unserer Sexualkultur und ist eine Folge traditioneller Übereinkünfte, viele davon kultiviert durch das Christentum. Nicht von ungefähr sind Kindesmissbrauch, Prostitution und Pornografie eng verwoben. Genauso wie Rituale um Eheschließung, Sexualität und Fortpflanzung, die dazu dienen, Menschen zu disziplinieren. Es ist also nicht sinnvoll, Missbrauch auszuklammern und als bedauerlichen Sonderfall hinzustellen. Sondern im Gegenteil, wenn wir uns weiterentwickeln wollen, sollten wir gerade auch dieses Phänomen als das begreifen und behandeln, was es ist: ein weit verbreiteter, ganz gewöhnlicher Teil unseres Alltags. Erst dann können wir alle daran wachsen. Immerhin ist Sexualität einer der intimsten Bereiche unseres Menschseins.

Apropos "Versöhnung": ein wichtiger und sozial stabilisierender Prozess. Am Anfang steht immer eine intensive und ehrliche Auseinandersetzung mit Schuld, Verantwortung und Genugtuung. Die Nordelbische Kirche, die sich mit der Missbrauchskriminalität in ihrer Institution auseinandersetzen musste, hat als Institution erfahren, dass solche Herausforderungen mehr als schmerzlich sein können. Dann nämlich, wenn sie den Kern dessen berühren, womit man sich glaubt, identifizieren zu müssen.

Auch was den Missbrauch in Ahrensburg angeht, ist nämlich die Katharsis noch nicht erfolgt. Die Aufarbeitung blieb auf halbem Wege stecken. Sie wird wohl irgendwann fortgesetzt werden.

Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

Permalink

Für mein Theologiestudium (1964-69) benötigte ich die Altsprachen Latein, Griechisch und Hebräisch. Damals eine Quälerei, aber viel später von großem Nutzen für meine Forschung, an deren Anfang eine Freudsche Fehlleistung Martin Luthers stand. Luther hatte mir im Glossar einer sehr alten Bibel im Buch Prediger Kap. 12, Vers 5 den inhaltlichen Hinweis auf Sexualität gegeben. Er sprach von "Wollust". Ich will Sie nicht ermüden und stelle Ihnen jetzt einen Text aus dem Buch Prediger vor, der in den vergangenen Jahrhunderten auf intelligent-perfide Weise manipuliert und unlesbar gemacht worden ist, und ich garantiere, dass Sie danach hellwach sein werden:

Jugend,
genießt euer Leben.
Lebt nach eurem Herzen und genießt,
was eure Augen sehen!
Genießt euer Essen und trinkt euren Wein
mit mit fröhlichem Herzen.
Und vor allem, genießt euren Sex (das Leben mit dem geliebten Weibe),
ehe die Gebrechen des Alters kommen,
von denen ihr sagen werdet:
"Sie gefallen mir nicht."
Wenn eure Arme zittern, (die Wächter des Hauses)
eure Beine sich krümmen, (die starken Männer des Hauses)
wenn die Zähne ausfallen, (der Müllerinnen wenige werden)
eure Augen erblinden, (dunkel, die durch die Fenter sehen)
ihr schwerhörig werdet, (Tor zur Gasse sich schließt)
eure Stimme kraftlos wird, (die Mühle leise wird)
eure Haare weiß werden, (der Mandelbaum blüht)
ihr keinen mehr hoch bekommt, (dieHeuschrecke sich mühsam hebt) Aphrodisiaka auch nicht helfen. (und die Kaper versagt)
Dann könnt ihr zumindest sagen,
wir haben gut gegessen,
guten Wein getrunken und hatten
reichlich und guten Sex.
Wir haben keine Freude ausgelassen
und dies ist der Lohn Gottes für all unsre
Mühe und Arbeit, die wohl notwendig aber eigentlich umsonst war.

Mich unterstützten bei meiner Arbeit Dr. Wolfgang Schneider, Dozent für Hebräisch an der Theol. Hochschule Wuppertal, Herr Meller, Sekretär der Orthodoxen Rabiner der Synagoge Köln, sowie Prof. Dr. Kwasman des Martin-Buber-Instituts Köln und der "Zufall", der hier Pseudonym für Gott ist
und eigentich nicht Inkognito bleiben darf.

Permalink

Religiös und schöpfungsgläubig gesehen können Sie natürlich so argumentieren. Evolutionsbiologisch (und das ist moderne Wissenschaft) ist es die "natürlichste Sache der Welt". Wie hätte sonst das auserwählte Volk im Gefolge von Adam und Eva, ja die ganze Menschheit, entstehen sollen?