Tim Wegner
19.01.2011

Eines der anrührendsten Bücher, die über das Thema Krebs erschienen sind, trägt den Titel "Leben wär' eine prima Alternative". Es stammt aus den Tagebüchern der DDR-Schriftstellerin Maxie Wander, und es ist 30 Jahre alt. Der Titel war seinerzeit deshalb so gut, weil er ein sprachliches Paradox ist. Weil der Tod das Einzige ist, zu dem es keine Alternative gibt. Sterben müssen wir alle, und wir dürfen leider auch nicht darüber abstimmen.

Heute würde der Buchtitel gar nicht mehr funktionieren, denn heute ist angeblich alles alternativlos. Dass wir die Griechen und den Euro und die Hypo Real Estate retten. Dass wir in Afghanistan Krieg führen. Dass die Mehrwertsteuer erhöht wird. Nur fünf von gefühlten 500 Malen aus den letzten Wochen, in denen Minister oder gleich die Bundeskanzlerin höchst persönlich den Hammer "alternativlos" fallen ließen. Und damit dem Volk klargemacht haben: Denken einstellen. Widerspruch zwecklos. Ende der Debatte. Oder, um ein Deppen-Synonym zu benutzen: "Is so! "
IS SO? EHRLICH? GEHT SO DEMOKRATIE?

Is das echt so? Dann können wir uns auch das Theater mit den Wahlen sparen. Wozu Sonntag früh in diese rührende Wahlkabine gehen, in die Grundschule mit den Kritzeleien an der Wand und so tun, als spiele es eine Rolle, ob man Alternative A oder B auf dem gelben Zettel ankreuzt? Wenn das mit der Demokratie eh nur so eine Art Kinderquatsch war und die Großen permanent den Gesetzgebungsnotstand ausrufen?

Oder meinen die das gar nicht so? Roland Koch zum Beispiel. Der sagte noch im Januar, der Regierungsstil von Angela Merkel sei alternativlos. Im Mai brach er dann die Zelte ab, nicht nur wegen des Regierungsstils der Kanzlerin, aber auch. Koch hat jetzt entdeckt, dass es ein "Leben jenseits der Politik" gibt. Recht hat er. Das Leben bietet wirklich prima Alternativen. Erst am Ende werden wir nicht mehr gefragt. Aber bis dahin möchten wir gern auch wieder mitdenken dürfen über die eine oder andere Alternative. Sonst kriegen wir schlechte Laune, und das ist ganz schlecht für die Demokratie. Is so!

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Baden-Württemberg hat einen neuen Ministerpräsidenten. Er ist Christ. Ich freue mich, wünsche ihm alles erdenklich Gute- und freue mich auch, dies hier bekanntmachen zu können!
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Frau Ursula Ott schrieb in ihrem Artikel: "Dann können wir uns auch das Theater mit den Wahlen sparen."....."Wenn das mit der Demokratie eh nur so eine Art Kinderquatsch war" -------------- Bei dieser Vorstellung dürfte es sich um einen Irrtum handeln. Bei demokratischen Wahlen handelt es sich weder um ein Theater noch um Kinderquatsch. Da geht es um etwas sehr Ernstes, Folgenreiches und im Ergebnis nicht selten ziemlich Blutiges. Die Unabdingbarkeit der Wahlen für das Gelingen der Demokratie besteht unabhängig davon, ob die wahlkämpfenden Parteien ihre Politikalternativen als alternativlos bezeichnen oder nicht. -------------- Durch die Wahl erklären die freien Bürger ihr Einverständnis damit, dass die Gesellschaft geschieden wird in die Machthaber und die zum Gehorsam verpflichteten Untertanen. Durch die Wahl wird außerdem darüber entschieden, welche Personen in die legislativen, exekutiven oder in manchen Staaten auch judikativen Ämter gelangen. Die Wahl ist die Legitimationveranstaltung für die politische Gewalt, der dann alle unterworfen sind. Der Gehorsam gegenüber den Gewählten ist verpflichtend für jedermann. Diese Verpflichtung besteht sowohl für diejenigen, die den Amtsinhaber gewählt haben, wie auch für diejenigen, die einen anderen gewählt haben, ebenso für Nichtwähler und insbesondere auch für die paar Gestalten, die es tatsächlich noch gibt und die überhaupt keinen Bock darauf haben, regiert zu werden oder anderen gewaltsam vorzuschreiben, wo es lang geht -------------- Kinderquatsch und Theater sind so ziemlich das glatte Gegenteil der durch Wahlen hergestellten Brutalität.