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Vor zwei Wochen war ich mal wieder in Berlin und wohnte in der Nähe des Alexanderplatzes.
Endlich konnte ich machen, was ich schon lange vorgehabt hatte: Das „Haus der Statistik“ besuchen. Auf den ersten Blick eine gigantische Bauruine, auf den zweiten eines der interessantesten Modellprojekte für zukunftsgewandte Stadtentwicklung in Deutschland.
Es geht um ein riesiges Areal mit mehreren Hochhäusern direkt am Alexanderplatz. 1968 erbaut hatte hier in der DDR-Zeit die Zentralverwaltung für Statistik ihren Sitz, daher der heutige Name.
Nach der Wende wurden die fast 50 000 qm Bürofläche zunächst weiter genutzt, u.a. auch vom statistischen Bundesamt. Dann stand der Komplex jahrelang leer und sollte, wie so viele andere Bauten aus der DDR-Zeit abgerissen, das ganze Areal verkauft werden. Doch dagegen gab es Widerstand. Künstler*innen und Stadtakteure taten sich zusammen und entwickelten Alternativkonzepte.
Neues Rathaus, Wohnen und viele, viele Freiflächen
Mittlerweile ist die Stadt wieder eingestiegen und Teil der sogenannten „Koop5“. Das neue Rathaus vom Bezirk Mitte soll hierher ziehen, dazu viele Wohnungen, auch genossenschaftlich organisiert, und es wird öffentliche Räume für Kunst, Kultur und andere Gemeinschaftsaktionen geben.
Das gesamte Projekt ist riesengroß, mit mittlerweile Dutzenden von hier engagierten Menschen in vielen unterschiedlichen Gruppen. In einer der nächsten Folgen des Blogs werde ich das beispielhafte Modell-Projekt noch mal genauer vorstellen und Menschen zu Wort kommen lassen, die dazu mehr erzählen können.
„Was geht? Visionen von Zukunft und Gegenwart“ lautet der Titel der Ausstellung; Max Söding hat zusammen mit Aline Haulsen das Projekt geleitet. Spontan nahm er sich eine halbe Stunde Zeit und führte mich durch die Ausstellung.
Max ist Stadtforscher. Er hat Soziologie studiert und beschäftigt sich seit Jahren mit stadtsoziologischen Fragen.
„Was geht?“ fand statt in drei Randbezirken von Berlin; alles drei Großwohnsiedlungen, in Tegel-Süd, Marzahn-Nordwest und im Ostseeviertel in Hohenschönhausen. In allen drei Vierteln hatten drei Künstlerkollektive zwei Monate lang Menschen, die dort lebten, in sehr niedrigschwelligen, offenen Verfahren nach ihren Wünschen und Vorstellungen befragt: Wonach soll dein Kiez klingen? Was macht deinen Kiez liebens- und lebenswert? Und wie sieht deine Traum-Stadt aus?
Muh, und Mäh und Vogelstimmmen
In Berlin-Tegel beispielsweise ging es um Musik und Töne. Was soll in Tegel zu hören sein? Bitte keine Flugzeuge, sondern Muh, Mäh und Vogelstimmen wünschten sich die Befragten, deren Lieblingstöne dann mit Lautsprechern und auf Knopf-Druck auf einem grünen, selbstgebauten Holzgerät vom Kollektiv Selbstgebaute Musik für einen Tag im Viertel ertönten. Wer mehr dazu wissen möchte, kann auf den Webseiten von „Was geht?“ schöne Bilder und viele Eindrücke finden.
Was ich aus den Erzählungen von Max mitnehme: Es braucht viel Fantasie und Kreativität, um Menschen, deren Alltagssorgen oft so ganz anders sind, zu motivieren, sich mit ihren Träumen, Visionen oder konkreten Vorstellungen für ihren Kiez, ihren Wohnort, einzubringen.
Traditionelle Partizipationsverfahren mit Fragebogen und Diskussionspodien stoßen da oft an ihre Grenzen. Das Ziel von „Was geht?“, so berichtet Max, war es vor allem, Menschen einzubeziehen, die sonst eher außen vorbleiben. „Wir haben uns an Orte mitten in der Öffentlichkeit gestellt, sie angequascht und nicht abgewartet, dass die zu uns kommen.“
Mich erinnerte dieser Ansatz an den Satz der Stadtplanerin Eva Kail aus Wien: „Da springe ich einem Mädchen auch einfach mal vor die Füße und frag sie direkt“, hatte sie mir im Workshop zur gendergerechten Stadtplanung erzählt.
Auch Kunst, so finde ich, ist ein guter, neuer Ansatz. Kunst darf frei und manchmal auch bisschen ein verrückt sein. In diesem Fall ging die Kunst auf die Straße, kam direkt zu den Menschen, an der S-Bahn-Station, auf dem Spielplatz. Der Zugang zu den Frage-Aktionen war spielerisch, offen, lustig und führte zu überraschenden Ergebnissen. Der gefragteste Satz der letzten Monate entstand bei der Aktion „Wunsch-Punsch“ in Berlin-Marzahn: "Marzahn ist geiler als Mitte.“: Die Postkarten mit diesem Statement waren sowohl in Marzahn als auch in der Ausstellung in Mitte besonders schnell weg.