Hand mit Spritze
Hand mit Spritze
Foto: Getty Images/iStockphoto/Arman Zhenikeyev
Vom Einkaufen auf dem Lande
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
22.02.2019

Liebe Dominique,

kürzlich hat ja jemand hier gefragt, ob man das empfehlen kann mit dem Perspektivwechsel. Natürlich! Was für eine Frage. Andere Wege zur Arbeit, neue Kollegen, neue Themen, das tut gut. Einfach mal sehen, worum es anderen Menschen geht. Und dass manches so ähnlich ist. Und dann doch anders. Nehmen wir mal an, ein Frankfurter Drogenfahnder soll seinen Job mit einem Meißener Polizisten tauschen. Na prima, wird der Frankfurter denken. Ein bisschen Graffiti, Streit in der Kneipe, Trunkenheit am Steuer, das ist ja wie Urlaub! Und was wird er hier finden? Ein Drogenproblem. Erzählt der Kollege von der Sächsischen Zeitung, der Gerichtsreporter. Crystal Meth ist hier das Thema. Und Beschaffungskriminalität. Das Crystal Meth wird in Tschechien gekocht und nach Sachsen geschmuggelt, ein schöner Nebenverdienst für Nebenberufsdealer. Konsumenten, sagt er, gibt es hier reichlich, auch wenn ich sie nicht sehe.

Das ist auch so eine Sache. Was man nicht weiß, das sieht man nicht. Für mich ist Meißen noch so touristenhübsch, ich sehe nicht die Leute in den Hauseingängen. Ich nehme die Senioren nicht wahr, die ihre Rente mit Drogenschmuggel aufbessern. Davon hat mir Walter Hannot erzählt, der seit 1991 in der Stadt ist und ihre Licht- und Schattenseiten kennt.  Hannot, Mitglied der CDU und zugleich Mitglied der Bürgerinitiative „Bürger für Meißen“,  ein Rheinländer, hat hier schon mehrere Häuser renoviert. Er liebt Meißen und ist zugleich enttäuscht und entsetzt von der Hartnäckigkeit, mit der sich Rückwärtsgewandtheit und Rückständigkeit halten – in einer bestimmten Generation, nämlich meiner. Und da natürlich nicht bei allen. „Das Land“ – er meint den ländlichen Raum – „ist zurückgeblieben, die jungen Leute gehen weg.“ Meißen ist der Landkreis mit der ältesten Bevölkerung in der Bundesrepublik, die Majorität der Alten wird sich hier noch lange halten. Hannot hadert sehr mit der Sachsen-CDU – außer mit dem Ministerpräsidenten Kretschmer. „Hier ist die CDU der linke Flügel der AfD.“ Trotzdem lässt er nicht nach in seinem Engagement. Er hat den Kulturverein mitgegründet, will mit seiner Bürgerinitiative in den Stadtrat einziehen.

Tatsächlich gibt es viel zu tun. Rund 100 Läden stehen leer, viele Wohnungen auch, die Durchmischung stimmt nicht, sagt Hannot, Chef einer Werbeagentur in Dresden, Berlin und anderen Städten.

Auch das sehe ich erst allmählich. Wenn ich morgens dein Rad durch eine fast menschenleere Kleinstadt schiebe, auf dem Marktplatz ein einzelner Gemüsestand mit einem einzelnen Kunden. Aber dann am Bahnhof: ein Einkaufszentrum mit den üblichen Verdächtigen. Ein bisschen weiter Aldi und Lidl. Kein Wunder, dass die Läden in der Altstadt nicht laufen. Vielleicht tobt das Leben auf der anderen Seite der Elbe, wohin ich zur Arbeit radele, aber ich bin einfach noch nicht dazu gekommen, mir das genauer anzuschauen. Meißen ist zu groß für einen so kurzen Schüleraustausch.

Drei Wochen. Hast du gesehen, dass wir Trendsetter sind? Der Opernintendant in Wuppertal und der Direktor eines Umweltinstituts wollen jetzt auch ihre Jobs tauschen, auch für drei Wochen. Am 28. Februar geht’s los. Viel Spaß und Erleuchtung, meine Herren!

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Kolumne

Dominique Bielmeier
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Dorothea Heintze
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Anne Buhrfeind

Zwei Redaktionen, ein Blog: Dominique Bielmeier arbeitet bei der Sächsischen Zeitung in Dresden. Anne Buhrfeind und Dorothea Heintze bei chrismon in Frankfurt. Nun bloggen sie: Über ihren Redaktions-Austausch, ihr Leben als Ossi im Westen, ihr Leben als Wessi im Osten. Und ihren Alltag, hier wie dort.