- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Jeden Tag erreichen uns neue furchtbare Nachrichten aus Afghanistan. Zuletzt beschlossen die Taliban die Burka-Pflicht für Frauen. Von nun an müssen Afghaninnen in der Öffentlichkeit, mit Ausnahme der Augen, ihr komplettes Gesicht verhüllen. Dieses Land wird mir immer mehr fremd und die Aussicht auf eine Rückkehr schwindet von Tag zu Tag.
In diesen schwierigen Zeiten treffe ich mich gelegentlich mit Landsleuten, mit denen ich mich austauschen kann, um den Schmerz etwas zu lindern. Zu diesen gehört auch Neki, eine 23-jährige Athletin, die erst kürzlich nach Deutschland kam, nachdem in Afghanistan die Regierung gestürzt wurde. In ihrer Heimat konnte sie viele ihrer Träume verwirklichen. Schon in jungen Jahren begeisterte sie sich für Sport und überredete ihre Mutter, an einem neu gegründeten Projekt für sportinteressierte Mädchen teilnehmen zu dürfen.
Neki und ihre Freundinnen gehörten mit zu den ersten Mädchen in Afghanistan, die es wagten, in der Öffentlichkeit mit dem Fahrrad zu fahren. Dies war immer ein Tabu. Als sie mir davon erzählte, starrte sie wehmütig in eine Ecke des Raumes, so als wäre sie in Gedanken ganz in ihrer Heimat. „Es macht mich stolz, die Mädchen auf dem Fahrrad zu sehen, weil ich weiß, dass ich meinen Teil dazu beigetragen habe. Die Entwicklung dahin war nicht einfach. Ständig wurden wir beschimpft und einige Male zerstach man mir die Reifen. Aber wir gaben nicht auf und setzten uns schließlich durch.“
Sie trainierte Mädchen im Bergsteigen
Neki ist zudem begnadete Bergsteigerin. Mit einem strahlenden Gesicht und einem breiten Grinsen berichtete sie mir davon, wie sie die Berge von Afghanistan bezwungen hatte. Trotz großem Widerstand seitens der Familie und vieler Sicherheitsbedenken, konnten sie zu viert nach Badachschan reisen und den Noshak besteigen, den höchsten Gipfel Afghanistans. „An den letzten beiden Tagen hatten wir nichts mehr zu essen, außer ein paar übrig gebliebener Schalen von Früchten, die wir zuvor schon gegessen hatten. Aber wir waren so motiviert, dass es uns nicht in den Sinn kam aufzugeben.“ Nach diesem Trip und wegen Nekis großen Engagements, wurde ihr eine Stelle angeboten, Mädchen im Bergsteigen zu trainieren.
Als Neki und ich im Park saßen, beobachteten wir einige Ukrainer, die sich ihre Landesflagge umgebunden hatten. Sie waren gekommen, um den Park zu säubern. Sie warfen Zigarettenstummel, Flaschen und anderen Müll in Plastiktüten. Neki erzählte mir, dass sie ihren Kolleginnen in Kabul ebenfalls vorschlug, die Parks sauber zu halten. Die wenigen Parks waren nur für Männer vorgesehen und als Frau war es schwierig, dort hinzugehen. Dennoch trauten sich Neki und ihre Freunde. Am Anfang hatten sie noch Angst von Männern belästigt zu werden, aber es war ihnen wichtiger, auch dieses Tabu zu brechen.
Neki will zurück kehren
Ich fragte sie, ob sie in Berlin zufrieden sei und hier ihre Träume weiter verwirklichen könne: „Mir gefällt es in Berlin, die Leute sind nett. Die meiste Zeit verbringe ich damit, Deutsch zu lernen. Mental geht es mir aber nicht so gut. Ich kann immer noch nicht fassen, was geschehen ist. Ich habe immer für meine Freiheit in Afghanistan gekämpft und jetzt habe ich sie hier in Deutschland erlangt. Meine große Sorge ist, ob ich als afghanische Geflüchtete die Chance bekomme, meine Ziele zu erreichen. Mit Sicherheit wird sich die Situation wieder bessern und ich kann eines Tages in meine Heimat zurückkehren. Das Leben in Afghanistan war nicht leicht, aber es hat Spaß gemacht. Ich hatte viele Freunde, mit denen ich oft verreiste und gemeinsam Herausforderungen überwand.“
Ihr zuzuhören, erinnerte mich an mich selbst. Auch ich kam im Alter von 23 Jahren nach Deutschland und häufig dachte ich darüber nach, zurückzugehen. Ich war ständig hin- und hergerissen und bezweifelte, ob meine Entscheidung die richtige war. Als ich mich endlich in der Situation sah, in meine Heimat zurückkehren und dort etwas zu bewegen, brach das Land in sich zusammen. Für Neki muss es aber noch schwieriger sein. Sie wird überhaupt nicht die Option haben, in naher Zukunft nach Afghanistan zurückzukehren. Spazierengehen in den Straßen von Pol-e-Sorkh, Musikhören in Cafés und Restaurants, ein Picknick am Qargha Dam: Dies sind inzwischen nur noch ferne Träume. Die Vorstellung davon, in Afghanistan zu leben, ist für uns zu einem Albtraum geworden. Ein Albtraum, aus dem es so bald kein Erwachen gibt.