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Als ich 13 Jahre alt war, gingen wir aus dem Iran zurück nach Afghanistan. Einem Land, das gerade erst von der Taliban-Herrschaft befreit wurde und in dem die Präsenz von Frauen auf den Straßen noch alles andere als normal war. Ich lebte immer noch in meiner kindlichen Welt. Einmal ging ich Seilspringen in einer nahegelegenen Gasse. Nach nur wenigen Minuten schaute ich mich um und wurde mit verärgerten Blicken der Nachbarn und vorbeigehenden Männer konfrontiert. Die Frau, die bei uns nebenan wohnte, kam zu mir und packte mich am Handgelenk. „Das hier ist Afghanistan! Mädchen in deinem Alter heiraten und stehen in der Küche, anstatt herumspringend auf der Straße ihre Körper zu zeigen.“
Hochzeitsvorbereitungen mit 13 Jahren
Damit hatte sie wohl recht. In der Schule musste ich feststellen, dass bereits mehr als die Hälfte meiner Klassenkameradinnen gegen ihren Willen verlobt waren. Verlobt mit Männern, die sie nicht einmal kannten oder zum Teil mit Verwandten ihrer Familie. Regelmäßig diskutierten die Mädchen in der Pause über ihre Hochzeitsvorbereitungen, wie sie am besten mit der Familie des zukünftigen Ehemanns auskommen und eine bestmögliche Braut und Ehefrau abgeben würden, um sich keinen Ärger einzuhandeln.
Ich hatte schnell verstanden, dass für Mädchen ein erfolgreicher Bildungsweg die einzige Möglichkeit war, ihre Freiheit zu erlangen. Mit guten Noten in der Schule und einem beruflichen Ziel vor Augen, welches in der Gesellschaft Akzeptanz finden würde, bestand die Möglichkeit, auch als Frau bis zur Beendigung der Schulzeit in Frieden gelassen zu werden. Anschließend war das Studium an einer anerkannten Universität in einem Fach wie Medizin, Naturwissenschaften oder Jura vonnöten, um weiter einen eigenständigen Weg als nicht verheiratete Frau gehen zu können.
Unser Pausenbrot verspeisten wir heimlich
Jeden Morgen, zwei Stunden vor Schulbeginn, traf ich mich, ohne die Erlaubnis meiner Mutter, mit meinen Mitschülerinnen in der Schule. Der Wächter am Eingangstor ließ uns herein, weil wir ihm sagten, wir würden gemeinsam lernen. Dies taten wir auch manchmal, doch meistens nutzten wir die Zeit, um uns über unsere Familien und die Mentalität der Gesellschaft aufzuregen und unseren Schmerz so etwas zu lindern.
Am liebsten erinnere ich mich an die Pausen im Schulhof. Es war für uns Mädchen verboten, zu spielen, laut zu sein oder von außerhalb Essen zu kaufen, doch mir war schon immer danach, diese unfairen Regeln zu missachten. Manchmal kauften wir heimlich Bolani (frittiertes Fladenbrot mit Gemüsefüllung), durch Löcher in der Wand des Schulgebäudes, vom Verkäufer, der diese Leckereien sonst auf der Straße verkaufte. Diese verspeisten wir dann in einer Ecke unter einem Baum, damit uns niemand bei diesem schwerwiegenden Verbrechen erwischen konnte. Wenn uns die Aufsicht doch ertappte, dann war unser einziger Plan, schnellstmöglich wegzurennen, was uns auch immer gelang.
Die Schule war unser einziger Weg in die Freiheit
Selbst heute noch, 19 Jahre später, können wir über unsere gemeinsame Schulzeit herzhaft lachen. Die Schule war nicht nur unser Weg in die Freiheit, sondern auch der einzige Ort, an dem wir angstfrei über unsere Sorgen und Probleme miteinander sprechen konnten. Ein Ort, an dem wir uns große Träume gegenseitig anvertrauen konnten und der uns als Kinder erlaubte, Kinder zu sein. Ein Privileg, das uns zu Hause und in der Öffentlichkeit vorenthalten wurde.
Der 23. März dieses Jahres fühlte sich an wie ein Dolchstich in mein Herz. Nach mehreren Verhandlungen mit dem Western hatten die Taliban zuvor versprochen, Schulen für Mädchen wiederzueröffnen. Nach 186 Tagen des Wartens zogen sich die jungen Schülerinnen erwartungsvoll ihre Uniformen an und machten sich auf den Weg zur Schule. Doch die Türen blieben auch an diesem Tag geschlossen und die Mädchen wurden wieder nach Hause geschickt. Ein weiteres von hunderten Versprechen wurde gebrochen. Taliban täuschen und lügen noch viel besser als sie es vor 26 Jahren schon taten. Sie wissen, dass gebildete Frauen ihre Macht gefährden könnten.
Kein anderes Land nimmt Frauen und Mädchen derart brutal ihre Rechte
An diesem Tag machten sich die Mädchen weinend auf den Heimweg, in dem Wissen, dass eine dunkle Zukunft vor ihnen liegen würde. Es gibt keinen Ort mehr, wo sie zusammen lernen, spielen und lachen können. Doch in der heutigen Zeit haben sie kaum noch etwas zu verlieren und werden ohne Angst auf die Straße gehen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Rechte, die Mädchen in keinem anderen Land der Welt so gezielt und respektlos genommen werden.