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Am 19. Januar 2022 ging das Video von Tamana im Internet um, in dem sie verängstigt um Hilfe flehte, als militante Taliban um Mitternacht an ihre Tür klopften, während sie mit ihren vier jüngeren Schwestern allein war. Das Video erregte die Aufmerksamkeit vieler humanitärer Organisationen und Aktivistinnen, die sich für ihre Sicherheit einsetzten und die Taliban davon abhalten konnten, sie und ihre Schwestern zu töten.
Nach der Machtübernahme durch die Taliban versammelte Tamana eine Gruppe von Frauen um sich und mobilisierte sie zum Widerstand gegen das neue Regime. Am 20. August 2021 gründete sie die libertäre Frauenbewegung und begann, Demonstrationen gegen die Hidschab-Pflicht und die Repressionen gegen Frauen zu organisieren. Sie und ihre Mitstreiterinnen wurden jedoch kurz nach ihrer letzten Demonstration am 19. Januar 2022 in ihrem Haus verhaftet.
Tamana und ihre Schwestern verbrachten 26 Nächte im Gefängnis, weil sie die Demos organisiert hatten. Nach ihrer Entlassung versteckten sie sich sieben Monate lang in einem anderen Haus und versuchte erneut, Frauen zu mobilisieren. Doch die Angst machte sich breit und nicht viele waren bereit, sich ihr anzuschließen. Schließlich meldete sich eine afghanische Frau aus Pakistan bei ihr und riet ihr, den Widerstand ruhen zu lassen, da sie sich in große Gefahr bringe. Tamana gab es auf, Demonstrationen zu organisieren, erhob aber weiterhin ihre Stimme in den sozialen Medien, um für die Rechte der Frauen einzutreten.
„Wo immer der Kampf für Freiheit und Menschlichkeit stattfindet, werde ich dabei sein.“
Im Oktober 2022 wurde Tamana nach Deutschland evakuiert, wo sie sich weiterhin für die Rechte der Frauen in Afghanistan und Iran einsetzt, indem sie an Demonstrationen teilnimmt. Trotz der Kritik und des Widerstands einiger ihrer Landsleute, die ihr vorwerfen, ihre Kultur und Religion nicht zu respektieren, weil sie ihren Hidschab verbrannt und dies in den sozialen Medien verbreitet hat, hat sich Tamana weiterhin für ihre Sache eingesetzt. Als ich sie in einem Telefonat auf ihre Situation im Gefägnis ansprach, äußerte sie ihr Unbehagen und bat darum, nicht darüber zu sprechen. Im Laufe des Gesprächs betonte Tamana ihr Engagement für Freiheit und Menschenrechte und erklärte: „Wo immer der Kampf für Freiheit und Menschlichkeit stattfindet, werde ich dabei sein.“
Ihre Stimme war von Traurigkeit und Angst erfüllt, und sie sprach langsam und seufzte oft nach jedem Satz. Als das Gespräch ins Stocken geriet, fragte ich sie, ob es ihr in Deutschland gefalle und ob sie sich wohlfühle. Überraschenderweise war dies die richtige Frage, und sie begann, offen zu sprechen. Sie sagte: "Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Leben hier und dem Leben im Versteck in Afghanistan." Sie sei in eine kleine Stadt im Wald umgesiedelt worden, und es gebe dort keine Sozialarbeiter oder Betreuer, die ihr helfen könne. Sie könne sich noch nicht einmal für einen Deutschkurs anmelden. Man sagte ihr, sie müsse noch warten.
"Offenbar wurde den Ukrainern mehr Aufmerksamkeit geschenkt als uns. Ich habe nicht darum gebeten, hierher gebracht zu werden. Sie haben alles getan, um mich hierher zu bringen, und jetzt lässt man mich im Stich." Auf die Frage, ob sie einen Therapeuten aufsuchen könne, um über ihre Erfahrungen zu sprechen, lachte sie bitter und sagte: "Wie kann ich das tun? Ich spreche die Sprache nicht, habe keinen Übersetzer und es gibt niemanden, der uns hilft."
Ich habe das Gefühl, ich gehöre nicht hierher
Als Tamana ihre Frustration und Enttäuschung über die Situation in Deutschland zum Ausdruck brachte, offenbarte sie schließlich eine erschütternde Wahrheit: "Ich wurde im Gefängnis gefoltert, wie viele andere Frauen auch. Ich habe körperliche Probleme und habe keine medizinische Behandlung erhalten. Ich bekomme nicht einmal einen Arzttermin." Ihre Schilderung der Grausamkeiten, die sie und andere Frauen ertragen mussten, war erschütternd. Tamana erwähnte auch, dass sie und ihre afghanischen Mitflüchtlinge von den Einheimischen in ihrer deutschen Stadt nicht gut behandelt werden. "Wenn wir in den Bus einsteigen oder zu Fuß gehen, schauen uns die Leute seltsam an, als wollten sie uns sagen, dass wir nicht hierher gehören.
Welche Rolle spielen wir, um den afghanischen Frauen eine Stimme zu geben?
Viele Frauen in Afghanistan wurden unter diesem repressiven Regime verhaftet und viele haben keinen Zugang zu Smartphones oder dem Internet, um die Welt über ihre Notlage zu informieren. Die Leichen einiger Frauen wurden am Straßenrand gefunden, andere sind verschwunden. Tamana möchte, dass Frauen in Deutschland und auf der ganzen Welt auf die katastrophale Situation der afghanischen Frauen aufmerksam gemacht werden, denen nicht einmal die grundlegendsten Menschenrechte zugestanden werden. Sie bittet die Frauen in den demokratischen Ländern, ihre Stimme zu erheben und die afghanischen Frauen nicht im Stich zu lassen, insbesondere jetzt, wo die afghanischen Medien stark zensiert werden.
Auch wenn wir nicht die Macht haben, die Situation der Frauen in Afghanistan direkt zu ändern, so gibt es doch viele Frauen in Deutschland, die unsere Hilfe brauchen, um von ihrem Schmerz und ihren Wunden zu heilen und ihren Kampf fortzusetzen. Die strukturellen und kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Ländern sind erheblich und erfordern Zeit und Geduld, um sie zu überwinden. Trotz der begrenzten Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, erheben diese Frauen im Exil weiterhin die Stimme ihres Volkes. Die Frage ist: Wie kann jeder von uns eine kleine Rolle im Kampf für die Freiheit der Frauen spielen?