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Wenn man dieser Tage so in der Sommersonne durch Berlins Mitte geht, kann man es sehen: das Kreuz mit dem Spruch auf der Kuppel auf dem neu-alten Schloss, in dem das Humboldt Forum entstehen soll. Man könnte auch achtlos daran vorbeilaufen. Besonders groß und auffällig ist es ja nicht geraten. Ob man es vermissen würde, wenn es nicht da wäre? Wer historisierende Rekonstruktionen schätzt, mag sich daran freuen. Handwerklich – so der Eindruck aus der Ferne – ist es jedenfalls gut gemacht.
Warum ich mich damit überhaupt beschäftige? Weil sich darum eine so deprimierende Debatte gedreht hat. Sie verfestigte das Fehlurteil, als ob es nur diesen Gegensatz gäbe: hier ein reaktionäres Christentum – dort eine säkulare Moderne. Eine scheinbar alternativlose Alternative.
Dass es gerade in Berlin einmal eine evangelische Aufklärung gegeben hat, weiß kaum jemand mehr. Dass die beiden Verse, die Friedrich Wilhelm IV. am Fuß der Kuppel hat anbringen lassen, in ihrem biblischen Kontext eine subversive, herrschaftskritische Botschaft formuliert haben, ist ebenfalls niemandem bekannt. (Darauf habe ich in „Politik & Kultur“, der lesenswerten Zeitung des Deutschen Kulturrats aufmerksam zu machen versucht – die neue Ausgabe kann man hier gratis herunterladen, mein Artikel findet sich auf Seite 5). Dass es schließlich unserer Kultur guttun könnte, wenn auch eine christliche Humanität darin ihren Plätze behielte, ging ebenfalls unter.
Eine aufmerksame Leserin schrieb mir vorgestern auf meinen Artikel: „Gern stelle ich mich auf Ihre Seite, wenn es darum geht, das Gottesgnadentum aus dem 21. Jahrhundert zu verbannen. Das 'Kreuz' ist nicht das Kreuz, Sie haben es angedeutet, sondern die Rekonstruktion des Schlosses an sich, die in einer Demokratie absurd erscheint. Aber das ist der Lauf der Zeit: In Potsdam tagt der Landtag im Schloss, in Braunschweig kann man hinter der Schlossfassade shoppen gehen. Mein Hauptargument für das Kreuz auf dem Humboldt Forum ist ein ganz diesseitiges und zeitgemäßes: Zahlreiche Flüchtlinge aus dem arabischen Raum wollen nicht nur wegen der wirtschaftlichen Situation nach Europa und besonders gern nach Deutschland, sondern auch weil sie hier von den positiven Folgen der Aufklärung profitieren und nicht zuletzt christliche Nächstenliebe erfahren können. Ich selbst kenne eine syrische Familie, die zunächst nach Ägypten geflüchtet ist, dort aber so verzweifelt war, dass sie sich mit einem Boot über das Mittelmeer gewagt haben. In Sicherheit waren sie auch dort, aber aufgenommen und geborgen fühlten sie sich erst bei uns. Darauf können wir auch stolz sein und uns mit Recht unter das Kreuz stellen.“
Dazu passt eine eigene Erfahrung aus der vergangenen Woche. Die Hamburg Media School bietet Medienschaffenden mit Fluchtgeschichte einen eigenen Kurs an. Ein Online-Seminar durfte ich geben. Das Gespräch drehte sich sofort um Religion. In ihren Herkunftsländern hatten die meisten Teilnehmenden schlechte Erfahrungen gemacht und standen jeder Religion entsprechend kritisch gegenüber. Auf die Frage aber, wie sie hier in Deutschland die Kirchen erlebt hätten, erzählte sie nur von positiven Erlebnissen: Kirchliche Akteure seien ihnen stets mit Respekt begegnet und hätten ihnen freundlich geholfen. Als leise Kritik merkte nur einer an, manchmal seien sie vielleicht zu tolerant.