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„Freiwillig gehe ich in kein Krankenhaus“, entgegnete mir ein älterer Mann, als ich ihn zu einem Konzertgottesdienst in die Klinikkapelle einlud. Eine Patientin, die wochenlang auf Station war und keinen Besuch erhielt, erklärte mir: „Mein Mann hasst eben Krankenhäuser“.
Und so blieb sie allein und die Krankenhausgemeinde wie so oft unter sich.
Als Klinikseelsorgerin besuchte ich über mehrere Jahre hinweg einen jungen Mann, der sehr darunter litt, dass durch seine Krankheit ein Leben mit eigener Familie und Beruf nicht denkbar war. Umso dankbarer war er für sein Patenkind, mit dem er so viel Zeit wie möglich verbrachte. Bei seinen Krankenhausaufenthalten vermisste er das Kind sehr. Die Eltern mochten keine Krankenhäuser und wollten dem Mädchen unschöne Besuche dort ersparen.
Der junge Patient hatte Verständnis, ich nicht.
Die Kranken sind aus dem Alltag gefallen - sie brauchen vertraute Menschen um sich
Es mag sehr unterschiedliche Gründe geben, warum Menschen ein Krankenhaus meiden, es gibt Leid und Elend, es riecht oft unangenehm und viele habe schmerzende eigene Erfahrungen. Aber es sind und bleiben Orte, an denen Menschen geholfen wird.
Und die Menschen, die dort behandelt und gepflegt werden, erleben meist sehr Ähnliches: Sie fühlen sich fremd und von der Welt abgeschnitten, sie sind oft von jetzt auf nachher aus ihrem gesamten Alltag herausgefallen.
Krankenbesuche gehören daher völlig selbstverständlich zu den urdiakonischen Aufgaben, damit Menschen nicht alleine bleiben. Und dazu muss man sich manchmal eben auch mal überwinden. Zumal hinter so mancher Abwehr und vermuteter Schwere und Traurigkeit eines Krankenbesuches auch einfach fehlende Erfahrung steckt.
"Jetzt schauen Sie nicht so traurig, ich lebe ja noch"
In meinen ersten Wochen als Klinikseelsorgerin besuchte ich eine seit vielen Jahren schwerkranke junge Frau. Wenige Tage später hörte ich ganz erschrocken, dass die Frau mittlerweile auf die Intensivstation verlegt wurde. Die Patientin freute sich sichtlich über meinen erneuten Besuch, es war ihr aber nicht möglich zu sprechen. Mit meinem Mitgefühl und meinen Fragen habe ich sie dann wohl etwas überrollt, denn nach einer Weile nahm sie lächelnd ein Blatt Papier und schrieb ganz langsam mit großen Buchstaben: „Ich lebe gerne!!!“.
Es folgten weitere überraschende Erfahrungen. „Jetzt schauen Sie nicht so traurig, ich lebe ja noch“, begrüßte mich ein Patient auf der Palliativstation. Oder ich saß mit einer großen Familie am Bett des verstorbenen Großvaters und man erzählte sich weinend und lachend vergnügliche Geschichten, die sie mit ihm erlebt hatte.
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Das Leben im Krankenhaus ist nicht nur belastend und traurig. Manchmal hört es sich ja schon fast kitschig an, wenn Menschen erzählen, wie tröstlich sie ihre Besuche von kranken und auch sterbenden Menschen erleben. Aber es stimmt einfach. Auch von Gottesdienstbesuchern in der Klinikkapelle hörte ich regelmäßig, wie besonders und intensiv die Gemeinschaft dort wahrgenommen wurde. Im Krankenhaus kann man so gut wie an keinem anderen Ort lernen, den Augenblick zu genießen und das brüchige, verletzliche Leben zu lieben.
Dafür muss man sich allerdings schon auf den Weg dahin machen - auch wenn man Krankenhäuser eigentlich gar nicht mag.