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"Ich bin so einsam, dass es weh tut"
Wenn es um Besuchszeiten im Krankenhaus geht, kann man es nicht allen recht machen. In Zeiten von Corona waren Besuche auf ein Minimum reduziert. Aber was wollen wir jetzt – Ruhe und Vorsicht oder Kliniken als offene Häuser?
09.03.2023

Eine Frau beginnt sofort zu weinen, als ich sie als Krankenhausseelsorgerin besuche: „Ich bin so einsam, dass es weh tut“, klagt sie.  

Von den Pflegenden höre ich, dass die berufstätige Tochter doch komme, sobald es ihr die Zeit erlaube, so arm sei die Frau doch gar nicht dran.

Anders die Situation einer türkischen Patientin. Die Familie wechselt sich ab, vom Frühstück bis abends 22.00 Uhr ist immer jemand da, für die Pflege und die Mitpatient*innen auch nicht immer einfach.

Gut erinnere mich an eine Woche im Sommer, als der an das Krankenhaus angrenzende Grünstreifen mit vielen bunten Picknickdecken belegt war. Etwa 50 Menschen einer Romafamilie drückten auf diese Weise ihre Verbundenheit mit einem kranken Familienmitglied aus. Mit der Krankenhausleitung war vereinbart, dass jeweils zwei Familienmitglieder in der Klinik sein konnten, die anderen hielten sich in der Nähe der Klinik auf. Allerdings ist in kritischen Situationen eine solche Vereinbarung nicht einfach durchzusetzen.

Coronatotenstille Krankenhäuser

Und dann kam Corona und alles war anders und es gab zunächst gar keine Besuche mehr. Die familiären und kulturellen Unterschiede bei Besuchen spielten von jetzt auf nachher keine Rolle mehr,

Es funktioniert, ein Krankenhaus ohne Besuche, Blumen und Kuchen, im sonst so geschäftigen Krankenhaus kann es auch plötzlich coronatotenstill sein.

Und es hat sogar Vorteile. Manche Mitarbeitende erzählen, dass sie die ungewohnte Ruhe richtig schätzten. Man muss bei Behandlungen oder Pflege nicht mehr ständig Besuch aus dem Zimmer bitten, es gibt viel weniger Konflikte, vieles ist entspannter. Auch als Patientin fand ich diese seltsame Stille nicht nur unangenehm.

 „So wie früher, Besuch zu jeder Tages- und Nachtzeit, das muss nicht mehr sein“, hörte und höre ich nun von unterschiedlichen Seiten.

Und ich denke an die Frau, die so einsam war. Sollte man die Besuche der Tochter tatsächlich auch noch auf feste Besuchszeiten begrenzen?

Wie soll die türkische Frau es aushalten, ganz allein zu sein?

Doch ich fürchte, es gibt es keine denkbare Besuchsregelung in einem Klinikum, mit der die ganze Romafamilie zur Begleitung eines Angehörigen konfliktfrei aufgenommen werden könnte.

Einsamkeit ist leise

Aber: Demnächst muss es sie wieder geben, Regelungen, wie und wann Besuche im Krankenhaus möglich und sinnvoll sind. Corona gibt nicht mehr allein den Ton an.  

Was tun, was wollen wir?

Sicherlich ist vieles bei der Behandlung und Pflege leichter, wenn nicht Ströme von Besuchenden über die Flure gehen. Und kranke Menschen brauchen auch Ruhe.

Aber Einsamkeit ist leise. Es sind die kleinen Erzählungen, die deutlich machen, wie traumatisch manche Erfahrungen im Krankenhaus in Zeiten von Corona waren. In einem Nebensatz schreibt eine krebserkrankte Frau, warum sie sich nicht habe operieren lassen: „Alleine konnte ich mir das nicht vorstellen“. Eine hochaltrige Frau hat einfach aufgehört zu reden. Und wir ahnen nur, wie schwer es für sterbenskranke Menschen in Zeiten von Corona war, allein bleiben zu müssen.

Und genau deshalb brauchen wir jetzt wieder offene Krankenhäuser und großzügige Besuchsregelungen, so wie es wieder offene Schulen, Theater, Kindergärten, Kirchen und Turnhallen gibt.

Kranke Menschen brauchen vertraute Menschen, Blumen, Gespräche und so viel Leben wie nur irgend möglich. Zielvorstellung kann nicht das praktische störungsfreie Krankenhaus sein.  

Und ehrlich gesagt war es ja auch vor Corona nicht immer so, dass Besucher*innen die Krankenhäuser überrannt haben. Im Gegenteil, zumindest aus meinem Kulturkreis habe ich oft genug Menschen angetroffen, die so einsam waren, dass es weh tat.

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Kolumne

Karin Lackus

Als Klinikseelsorgerin und Krebspatientin kannte Pfarrerin Karin Lackus den medizinischen Alltag unterschiedlichen Perspektiven und hat darüber gebloggt. Ende April 2023 ist Karin Lackus gestorben. Der Blog bleibt online, und in Absprache mit den Angehörigen haben wir im Blog noch einige Texte veröffentlicht, die Karin Lackus vor ihrem Tod verfasst hat.