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An Weihnachten las ich in einer Rezension über den Essay „Nostalgie. Wann sind wir wirklich zu Hause“ von Barbara Cassin: „Denn die Nostalgie, die sich im Angesicht der heimischen Gestade einstellen könnte, ist nicht nur eine um sich selbst kreisende Sehnsucht nach dem ‚nicht mehr‘. Sie ist auch beziehungsweise vielmehr eine Sehnsucht nach dem ‚Noch nicht‘.“
Ein Leben "zwischen den Zeiten"
Das Leben und Feiern „zwischen den Jahren“ ist diesmal ein „zwischen den Zeiten“. Denn längst ist mir klar, dass dieses „Nicht mehr“ nicht mehr kommt. Auch nicht für die, die ihm unbedingt anhängen und es mit restaurativer Strenge wieder herstellen wollen. Und das „Noch nicht“ muss erst werden, ohne je zum Abschluss zu kommen. Denn die Arbeiten im Ahrtal, ob Brücken und Straßen oder Steckdosen und Parkett in meinem und meines Nachbarn Haus münden in das ein, was Geschichte heißt. Und die ist ja bekanntlich nie zu Ende.
So tapfer die Stadt in trüben Wintertagen auch plakatierte „Unsere Stadt wird #wiederbunt“, so trostlos ungrün war mein Tal. Baustellen, Container, Bagger, Lastwagen allüberall, Geschäftigkeit an allen Ecken und Enden, doch im selbstgenügsamen Leerlauf, ohne wirkliche Veränderung. Eine Zeitschleife, in der wir gefangen sind. Täglich grüßt das Murmeltier.
Ein Architekt besucht unser Haus
Dann passiert etwas Unerwartetes. Ein Architekt besucht unser Haus. Ich kenne ihn von zwei Sanierungen öffentlicher Gebäude, er fragt, ich klage, er verspricht Unterstützung. Und kommt tatsächlich.
Als wir unser Haus kauften, taten wir das unter dem Gesichtspunkt, ob das, was angeboten wurde, unserer Familie angemessenen Wohnraum bieten würde. Das tat es, der Preis stimmte und so erwarben wir eine frühe Nachkriegsimmobilie, die später durch zwei Anbauten erweitert worden war. Wir richteten uns ein.
Der Architekt jetzt inspiziert die leeren Räume, manchmal grinst er, manchmal runzelt er die Stirn oder schüttelt leise den Kopf. „Alles ein bisschen konfus, essen, schlafen, wohnen, kochen. Ein langer Schlauch, von dem überall irgendetwas abgeht“, meint er. So hatten wir das nie wahrgenommen.
Besser machen - Bob, der Baumeister erwacht
Dann holt er aus, charmant und empatisch: „Wenn Sie sich drauf einlassen wollen, kann man das besser hinkriegen. Das meiste hier sind nichttragende Wände. Das lässt sich schnell verändern. Und besser machen.“
Diese Rede stimmt mich schlagartig optimistisch. Als ich Kind war, baute ich mit Lego auf einer großen, grünen Grundplatte Häuser. Nicht immer war die Aufteilung auf Anhieb optimal. Oder ein genialer Gedanke kam auf, als das Gebäude schon fast fertig war. Dann wurden Wände, Türen und Fenster einfach versetzt. Bob, der Baumeister halt.
Mit der Veränderung des Grundrisses hat der Architekt meine Erstarrung im „Nicht-mehr“ aufgeknackt und die Sehnsucht auf das „Noch-nicht“ geweckt. Zukunftslust löst Gegenwartsfrust ab. Jedenfalls für den Augenblick. Aber der ist es ja, der zählt.