Verbogene Reste einer zerstörten Ahrbrücke
Die Reste der einstigen Ahrtorbrücke liegen wie ein Symbol für Verwirrung und Unentwirrbarkeit am Ahrufer – und drücken so das Lebensgefühl vieler aus, denen eine absehbare Perspektive schleichend abhandenkommt.
Thomas Rheindorf
Hauptsache versichert?
Wir sind ja gut versichert - wenigstens, dachte ich nach dem Hochwasser. Doch die kostenpflichtige Allianz mit der Versicherung als Helferin in der Not erweist sich zunehmend als nerviger Pakt mit pflichtvergessenen Gleichgültigen.
23.02.2022

In der Community der Flutopfer ist ein Thema nach oben gespült worden – um es so zu sagen: die Versicherer. Manchmal wähnt man sich ja mit einer Sache allein auf weiter Flut und stellt dann fest: Ich bin Teil damit nicht allein. Schön, wenn es etwas Positives ist, dann kann man sich vergesellschaften und einen Fußballverein gründen oder eine Kleingartenkolonie organisieren.

Wir leiden allein vor uns hin

Wenn es etwas Ärgerliches ist, geht es im Prinzip genauso, ob Weisser Ring oder „fridays for future“, es kommt aufs Leiden an. Die unter ihren Sachversicherern Leidenden im Ahrtal haben keine solche Lobbyorganisation. Sie leiden allein vor sich hin und hören von denen, denen es genau so geht. Dabei ist die Misere kein Geheimnis. Es geht eigentlich allen gleich im Ahrtal, so klagen Privatpersonen und Diakonie Katastrophenhilfe, Kommunalvertreter und Seelsorger unisono. Will man hochgezogene Augenbrauen oder Mimikfalten auf der Stirn bewundern (der Rest bleibt wegen der Masken eher vage), muss man nur das Zauberwort aussprechen: ELEMENTARVERSICHERUNG.

Nur scheinbar privilegiert

Dabei hatte es zu Beginn der Misere einen ganz anderen Klang: „Elementarversichert? Na, Gott sei dank!“ Bemitleidet wurden jene, die nicht über den vermeintlichen rettenden Heilszusatz „Elementar-“ geboten. Ihnen wurde ein mühsamer Weg durch die Instanzen beschieden, den dem Politikermantra „unbürokratisch, schnell, wirksam“ war man schon in der Akutphase eher reserviert begegnet. So kam es  – wenig überraschend – auch. Doch zunehmend finden sich auch die seinerzeit noch als privilegiert Erachteten im Lager der Frustrierten und Ohnmächtigen ein.

Es ließ sich beruhigend an

Für mich sind das keine Gerüchte oder Räuberpistolen – ich bin betroffen. Wenige Tage nach der Flut rauschte der von der Versicherung beauftragte Gutachter durch unser Haus. Umgehend begann er seine eigene Arbeitsüberlastung und die unverfrorenen Vorstellungen der Geschädigten zu beklagen. Er werde sein Gutachten der Versicherung übermitteln, dann gehe es weiter. Dann kam tatsächlich ein Lebenszeichen von der Versicherung, sie überwies einen Mietvorschuss für unser Remagener Exil und einen kleineren Betrag für erste Auslagen.

Es ließ sich beruhigend an. Wir waren mit Aufräumen und der Organisation unseres neuen Lebens beschäftigt. Irgendwann schickten wir Angebote. Es tat sich nichts. Wir emailten hinterher. Hier und da gab es Freigaben für Dinge, die noch lange nicht an der Reihe waren. Dann wurde das Angebot für die Fenster moniert. Der Gutachter sollte wieder erscheinen. Er kam zu einem Zeitpunkt, zu dem ich verhindert war. Das tut mir bis heute leid. Denn was folgte, war keine Begutachtung, sondern eine misogyne Beschimpfung der Hausherrin. Meine Frau wurde nach zwei schlaflosen Nächten von ihrem Arzt krankgeschrieben. Wir forderten das Erstgutachten und einen Bauleiter. Das Gutachten kam. Es ist völlig fehlerhaft. Nicht in Plausibilitätsfragen, sondern bei belegbaren Fakten. Wir haben uns beschwert. Man schrieb, man wolle sich nach Prüfung melden. Seither schweigt die Versicherung. Wir haben Angebote und Rechnungen eingereicht. Die Versicherung schweigt – zu allem. Versicherungen, so denkt man, bietet Sicherheit für die Unwägbarkeiten des Lebens. Wenn sie sich ins Gegenteil verkehren und existentielle Unsicherheit verbreiten, dann verfehlen sie ihren Zweck.

Für die Firma des Gutachters gibt es Bewertungen im Internet. Einer schrieb: „Ich musste hier mindestens einen Stern vergeben, sonst hätte ich nicht kommentieren dürfen. Dieser Stern ist schon einer zu viel.“ Ich verstehe den User. Die Versicherungsfrage ist für uns und andere wie Orientierungssuche in einer sternenlosen Nacht.

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Kolumne

Thomas Rheindorf

Als das Hochwasser kam, war Pastor Thomas Rheindorf gerade zur Seelsorge unterwegs. Geschichten aus dem Ahrtal: über Trauer, Tod und Hoffnung.