Lena Uphoff
20.10.2010

Schlagzeilen, so lernen es Journalisten, sollen den Neuigkeitswert der Nachricht angeben und damit zur Lektüre animieren. Nüchterne Diktion verstärkt die Wirkung der fetten Überschriften: Das Unglaubliche, das Wundersame, der Skandal oder die epochale Neuigkeit sprechen für sich selbst. Äußerste Knappheit und Atemlosigkeit signalisieren: Achtung ­ brandneu, die letzte Meldung: Mafia-Opfer heiratet Killer! Rind wirft Ferkel! Michael Jackson geklont!

Kürzlich stand auf Seite eins einer Tageszeitung zu lesen: Ärzte entdecken: Der Mensch ist mehr als sein Körper! Forscher: Die Seele existiert! Ein Team niederländischer Mediziner um Professor Pim van Lommel will ­ endlich ­ Beweise für ein Leben nach dem Tod gefunden haben und kommt in einer Studie zu der Erkenntnis: Der Mensch hat eine Seele, die unabhängig von seinem Körper über den Tod hinaus existiert. Erfreulich.

Aber was ist das wirklich Neue an dieser Aussage? Religion, gleich welche, hütet seit Anbeginn der Menschheit genau dieses Wissen. Im Grunde weiß jedes Kind, dass der Mensch mehr ist als sein Körper. Was wohl hat die Zeitungsmacher verführt, diese Information aus der Wissenschaft mit allen Merkmalen des Sensationellen zu präsentieren? Warum sollen Leserinnen und Leser über eine Erkenntnis staunen, die für die meisten so selbstverständlich ist wie die Existenz der Liebe und des Lachens? Darum: Weil Forscher etwas bewiesen haben wollen, was eigentlich außerhalb der Sphäre liegt, die der Wissenschaft mit ihren Methoden und Instrumenten zugänglich ist.

Ob Menschen eine Seele haben, das ist eine Frage der Religion. Und deren Bereich kann nicht mit statistischen Wahrscheinlichkeitsstudien erschlossen werden, sondern allein mit der persönlichen Erfahrung, die man Glauben nennt. Wissenschaft, die für das rational Erfassbare zuständig ist, geht fremd, wenn sie sich auf dem Feld der Religion tummelt. Forschung, die sich in diese Gefilde verirrt, wirkt ebenso rührend komisch, wie uns heute die längst vergangenen Versuche vorkommen, mit den Mitteln der Religion Fragen der materiellen Welt zu beantworten.

Der menschliche Verstand, das wissen wir aus Erfahrung, ist auf Expansion angelegt. Das sterbliche Geschöpf Mensch lebt von dem Antrieb, die Grenze seiner Endlichkeit zu durchstoßen oder zumindest immer weiter hinauszuschieben. Deshalb versuchen sich Wissenschaftler von alters her am Unmöglichen, indem sie Gott zu beweisen oder zu widerlegen versuchen und eben die Existenz oder Nichtexistenz der Seele. Das ist nicht schlimm. So sind wir eben. Aber bedeutsam ist es eigentlich auch nicht.

Wenn Professor Pim van Lommel "bewiesen" hätte, dass es die Seele nicht gibt, es hätte uns ebenso wenig beeindruckt wie der Kommentar des ersten Weltraumfliegers Juri Gagarin, er hätte im All Gott nicht getroffen. Das lag nicht an Gott, sondern an Gagarin. Glauben heißt Vertrauen, nicht mehr und nicht weniger. Wer an die Wissenschaft glaubt und besser schlafen kann, wenn sie als letzte Autorität die Existenz der Seele bestätigt, sollte allerdings wissen, dass er damit für sich die Wissenschaft abschafft, indem er sie zu seiner Religion erhebt. Und das hat sich in der jüngeren Geschichte mehrfach als teuflisches Konzept erwiesen.