Lena Uphoff
15.11.2010

"Nichts ist umsonst", pflegte mein Großvater zu kalauern, "außer dem Tod. Und der kostet das Leben." Der alte Herr sagte das so oft, dass wir Jungen allerhöchstens noch genervt die Augen verdrehten oder die Lippen zu einem müden Grinsen verzogen. Nun bin ich ein Mittvierziger und meine Familie registriert bei mir die Neigung, mich zunehmend mit Binsenweisheiten in ernste Gespräche einzuschalten. Schlimmer noch: Mir fällt selbst auf, wie häufig ich unterschiedlichste Nachrichten mit solch fatalistischen Allerweltsbotschaften kommentiere.

Wenn meine Frau über das Wetter klagt, so rate ich: Man muss es nehmen, wie es kommt. Es lässt sich sowieso nicht ändern. Wenn mein Nachbar empört berichtet, wie ihn ein Verkäufer über den Tisch gezogen hat, heißt mein Trost: So sind sie, die Leute. Mit Katastrophen konfrontiert, reagiere ich bündig: Das Leben sei nun mal lebensgefährlich. Meine Fähigkeit mich aufzuregen, nimmt rapide ab. Der Beginn der Vergreisung? Der Anfang vom Ende? Nackter Überdruss am Gewoge der Welt?

Was Opas Lieblingsfloskel angeht, muss ich leider feststellen, dass sie stimmt. Alles hat seinen Preis. Jede Entscheidung für etwas im Leben ist auch eine gegen etwas anderes. Neue Chancen bringen neue Probleme.

Ich wollte nie glauben, dass derart schlichte Erkenntnisse eine Frage des fortschreitenden Alters, der wachsenden Lebenserfahrung sind. Aber es stimmt: Je mehr Freud und Leid man erlebt hat, desto schwerer ist man aus der Ruhe zu bringen. Das ist total normal und wird nicht dadurch originell, dass ich es erlebe.

Was mich beunruhigt, ist der Zeitpunkt, zu dem ich diese Entwicklung bei mir feststelle. Bei einem Achtzigjährigen würde ich stoischen Gleichmut als eine Art Altersweisheit bewundern. Aber ich bin erst 44! Und schon auf dem Weg zum Grufti?

Klar, man hat seine Träume. Noch einmal nächtens über Zäune klettern und Kirschen stehlen. Leben, ohne die Schere der Vernunft im Kopf. Ein Motorrad anschaffen. Oder wenigstens Inlineskates. Letztere habe ich mir gekauft. Nun stakse ich mit meinem kleinen Sohn durch unser Neubaugebiet, zum Gaudium der Nachbarschaft. Eine Narr auf Rollen.

Ich weiß aus der Werbung: Jeder ist so alt, wie er sich fühlt. Manchmal fühle ich mich ziemlich alt. Darf ich das denn nicht, verdammt noch mal! Natürlich darf ich, beruhigt mich die einschlägige, von älteren Männern produzierte Literatur.

So sieht sie aus, die Midlifecrisis! Der Mensch im Übergang. Man zappelt und wehrt sich. Und beginnt doch, das neue Stadium der Reife zu genießen. Abwechselnd beneidest und bedauerst du die Jungen.

Neulich an der Supermarktkasse: Vor mir in der Schlange ein frisch verliebtes Pärchen, Anfang zwanzig, das nicht voneinander lassen kann. Knutschen, streicheln, turteln. Und ich muss noch zur Post! Und die macht zu! Die Frau an der Kasse, in meinem Alter, sieht's auch und wartet zehn Sekunden. Dann ruft Sie: "Kinder, wollt ihr nicht den jungen Mann vorlassen. Ich glaub der hat es eilig." Ich schrecke auf: "Nee, lassen Sie nur. Ich weiß noch, wie schön das ist. Und danke für den ,jungen Mann'." Das Pärchen errötet, die Kassiererin errötet und auch mir brennen die Wangen. Das Leben der Älteren kann aufregend schön sein.

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