- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
„Ich bin ein Traktor“, hat mir Justin erklärt, der kleine Sohn unserer Nachbarn. Meine uninspirierte Antwort: „Ja, gut. Ein Traktor bist du.“ Schien ihn aber nicht weiter irritiert zu haben. „Und was bist du?“ Justins Frage hörte sich so ähnlich an wie jene, die wir Ihnen, liebes chrismon-Publikum, neulich gestellt haben, war jedoch ganz anders gemeint.
Ich zögerte. Ein Auto? Ein Lkw? Panzer? Nein, das wäre ethisch, moralisch und sonst wie vollkommen inkorrekt. Justin sah mich an, wartete. „Muss ich fahren können? Muss ich Räder haben?“, fragte ich. „Nein, du kannst sein, was du möchtest“, kam in entwaffnender Geschwindigkeit Justins Antwort. „Du kannst was im Haus sein oder draußen, egal.“
Ich beschloss, nicht mehr lange nachzudenken, und sagte: „Wenn das so ist, dann bin ich ein Kühlschrank.“ Und gleich beschlich mich der Zweifel, ob das eine besonders glückliche Wahl sei. Justin blieb am Thema: „Groß oder klein?“ Ich sah in sein ernstes, aufmerksames Gesicht und entschied mich für „eher groß, mit Flaschenkühler und Gemüsefächern“.
Ich gestehe, es ist kein leichtes Sein als Kühlschrank in unserer Familie. Um ehrlich zu sein: als mein Kühlschrank. Die erzieherisch unbedingten Begriffe „immer“ und „nie“ gelten in meinem Fall für aufgeräumt (nie), verschüttete Marmeladen, Pastasauce, Ketchup auf Regalböden (immer). Was drin sein soll, ist draußen – Wasser, Säfte, Weißwein. Was nicht hineingehört, ist drin.
„Brummst du auch?“, wollte Justin wissen. Ja, und wie ich brumme! „Deswegen heißt du ja auch so. Brummer!“ Ganz neue Sicht auf meine Herkunft. „Hast du ein Licht in dir drin?“ Jetzt wurde es existenziell und spirituell. „Ja, aber zurzeit ist die Birne kaputt. Und die Leute in meiner Familie sind entweder zu schlampig, um sie auszutauschen, oder zu doof, weil sie nicht wissen, wie das geht und die Bedienungsanleitung nicht finden.“
Justin lächelte mich tröstend an: „Das kenn’ ich. Mama hat neulich Papa geschimpft, weil in unserem Kühlschrank auch die Birne kaputt ist. Lampen und Elektrik ist deine Aufgabe, schimpfte sie, und nicht mal das kriegt Papa hin. Weil, Bügeln und Wäschewaschen macht Mama, wenn sie aus dem Büro kommt.“ Ich muss mit Robert, Justins Papa, mal wieder ein wenig plaudern, beschloss ich im Stillen. Es erleichtert einen doch gewaltig, wenn man so etwas hört. Gleiche Brüder, gleiche Kappen! – hätte mein früherer Nachbar, der Rheinländer Fred, diese Erkenntnis kommentiert.
Die Birne auswechseln und dann ein gut gekühltes Gläschen Most
„Hast du lieber Winter oder Sommer?“, setzte Justin die Personalisierung des Kühlgerätes oder meine Maschinisierung fort. Schwere Frage. Für einen Kühlschrank. Als Mensch ist mir der Sommer viel lieber. Und das hat weniger mit den Temperaturen zu tun als mit dem Licht. Im Sommer macht es nichts, wenn eine defekte Glühbirne nicht gleich ausgetauscht wird, weil man nicht so sehr auf sie angewiesen ist.
„Und warum bis du ein Traktor, Justin? Warum kein Rennauto?“ – „Das ist ganz einfach. Rennautos sind zwar schnell, aber man sitzt ganz eingeklemmt drin. Auf dem Traktor sitzen die Leute obendrauf. Außerdem kann ein Traktor viel mehr sehen und hören, was los ist, weil er eben gerade nicht so schnell fährt. Und dann tuckert er doll.
Das mag ich.“ Er senkte die Stimme: „Und, weißt du, im Urlaub in Österreich hat mich ein Bauer mal mit seinem Traktor fahren lassen.“ Ganz alleine? „Nein. Er hat mich auf seinen Schoß gesetzt und ich durfte steuern. Und wenn ich groß bin, hat er gesagt, und wir wieder Ferien dort machen, dann darf ich alleine fahren.“
Als ich Robert gestern traf und ihm von meinem Maschinengespräch mit Justin erzählte, grinste er. „Dieser Bauer sollte von der örtlichen Tourismuswerbung eine Prämie bekommen. Natürlich fahren wir wieder hin, zu Justins Traktor.“ Dann haben wir Roberts Kühlschrank inspiziert. Ich habe ihm gezeigt, wie man die Birne auswechselt. Und er spendierte einen wirklich gut gekühlten Birnenmost. Prost auf den Traktor, auf den Kühlschrank, auf Justin!