Foto: Elias Hassos
Ich weiß Bescheid. Nein, nicht ich, aber mein neuer Computer im Buchformat. Findet alles heraus in wenigen Sekunden.
22.06.2012

Auf welchen Wochentag fiel der 7. Juli 1837? In welchem Monat war der Vietnamkrieg zu Ende? Ein einfaches Rezept für Quiche Lorraine? Ist Eminem Rapper oder Hip-Hopper? Wie ist das Wetter in Oman? Ich weiß alles, kann jede Frage, die ich mir oder andere sich stellen, innerhalb weniger Sekunden beantworten. Mein Mann hat mir nämlich ein iPad geschenkt.

Seitdem bereichere ich unsere Zweisamkeit und jede Geselligkeit mit einem kurzen „Moment mal“, gebe schnell das Gesuchte ein und, zack, schon weiß ich Bescheid. Also nicht ich, sondern das iPad.

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Aber das ist ja egal. Ich kann jedenfalls freudestrahlend mit den soeben abgelesenen Erkenntnissen aufwarten. Ganz abgesehen davon, dass ich auf Knopfdruck die letzten Urlaubsfotos beim Essengehen vorführen kann – Wischtechnik, Origami, ganz wie Freunde oder Verwandte wünschen.

Gemeinsam grübeln macht Freude

Nach einem halben Jahr merke ich, dass das nicht auf ungeteilten Beifall trifft. Mein Mann stößt regelmäßig kleine Seufzer aus – klein, weil er mir das iPad ja geschenkt hat. Mit dem handlichen Ding bin ich zu Hause auf dem Sofa, unterwegs im Auto oder im Restaurant zur ewigen Alleswisserin geworden – und unterbinde damit jede längere Diskussion, jede gemeinschaftliche Gedankenrecherche zu interessanten und weniger wichtigen Fragen des Lebens.

So langsam geht mir auf, dass es Freude gemacht hat, gemeinsam zu grübeln, sich über wechselseitige wilde Assoziationen – „irgendwas mit K und einem H am Ende, oder?“ – allmählich zu erinnern oder blitzartig von Erkenntnis überfallen zu werden: „Ich hab’s! Hans Tilkowski war damals Nationaltorhüter!“ Nix mit K und H... Und früher, ja, das ist für mich jetzt früher, freute man sich wie die Schneekönige, dass man gemeinsam zum Ziel gekommen war. Das fällt jetzt weg.

Entwickele ich mich zu einer Nervensäge?

Ich habe mein iPad immer dabei. Noch machen die Freunde keine abwehrende Handbewegung, wenn ich meinen Allerweltskönner mit einem Griff aus der Tasche ziehe. Allerdings überlege ich angesichts der zarten Andeutungen meines Liebsten vorsichtshalber, ob ich mich nicht zur Nervensäge entwickle. Eine, die jeden Gesprächsgang zu einem sicheren Ende bringt: „Da! Hier steht’s! Augenblick, ich schaue schnell noch auf einer anderen Website nach.“

Zu einem Technikfreak, der Mitmenschen die Lust daran nimmt, nachzudenken, sich schrittweise der Wahrheit zu nähern, mal total danebenzuliegen oder eine Frage einfach unbeantwortet zu lassen, sie vielleicht beim nächsten Mal neu aufzugreifen: „Du, ich habe meinen Bruder gefragt, der kennt sich mit Dieselmotoren aus...“ Oder: „Da habe ich doch tatsächlich diese Blume im Nachbarsgarten entdeckt!“

Ich erprobe jetzt den Bezug

Natürlich ist es schön, auf manche Fragen, gerade wenn es eilt, schnell eine Auskunft zu bekommen. Aber am Abend zu Hause, am Wochenende, wenn man gemütlich beieinandersitzt und die Gedanken mäandern? Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste, redet darüber ein bisschen, verplaudert sich dort – und geht irgendwann schlafen mit dem Gefühl: „Was für ein wunderbarer Abend. Endlich haben wir mal wieder richtig ausführlich geredet.“ Weil ein iPad süchtig macht, erprobe ich mich jetzt im Entzug.

Im Moment lade ich es noch im Wohnzimmer auf, zwei Meter von mir entfernt. Als Nächstes werde ich es ins Arbeitszimmer tragen, da ist es noch weiter entfernt. Übrigens, wissen Sie, dass man Luftlinien online ganz einfach berechnen kann? Ich könnte also auf meinem iPad die Distanz zwischen Ihnen und mir...nein. Es ist immer viel interessanter, in Ihren Leserbriefen von Ihnen selber zu lesen oder zu hören. Danke dafür.

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