Tillmann Franzen
Ist es Zeit für einen europäischen Kirchentag? Anmerkungen zu einem Vorschlag von Wolfgang Schäuble
Foto: Tillmann Franzen
15.05.2012

Einen europäischen Kirchentag brachte Wolfgang Schäuble vor kurzem ins Gespräch. Ein solcher Kirchentag, so der Bundesfinanzminister und engagierte badische Protestant, könne dabei helfen, eine europäische Identität herauszubilden und zu stärken.

Wolfgang Schäuble kennt die Deutschen Evangelischen Kirchentage, die alle zwei Jahre weit über 100 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammenführen, aus ­eigener Erfahrung. Seit Jahren legt er dort die Bibel aus und spürt, wie sehr Kirchentage die Menschen motivieren und orientieren – weit über nationale und konfessionelle Grenzen hinaus.
Gibt es überhaupt Bedarf an einem zusätzlichen, einem europäischen Kirchentag? Und würde er zu dem Wunsch Wolfgang Schäubles passen, mit Hilfe des Glaubens eine europäische Identität her­zustellen? 

"Marktplatz Europa" - schon das war eine besondere Erfahrung

Zunächst einmal: Der Deutsche Evan­gelische Kirchentag ist schon heute offen für Besucherinnen und Besucher aus der ganzen Welt. Die Zahl der Teilnehmenden aus dem Ausland geht seit Jahren in die Tausende. Das Programm bietet auch Bibelarbeiten in fremden Sprachen. Referenten und Referentinnen aus anderen Ländern, anderen Konfessionen und Re­ligionen gestalten den evangelischen Kirchentag mit.

Viele Kirchengemeinden pflegen ökumenische Partnerschaften und laden Menschen aus den Gemeinden, mit denen sie im Ausland verbunden sind, zur Teilnahme am Kirchentag ein. Meine Heimatkirche, die Evangelische Kirche im Rheinland, hatte zum Kirchentag 2007 in Köln europäische Partnerkirchen eingeladen, gemeinsam mit ihnen ein Projekt auf dem „Marktplatz Europa“ vorzubereiten und durchzuführen. Die Partnerkirchen be­richteten danach: Gerade die Teilnehmer aus den europäischen Minderheitenkirchen haben das als inspirierend erlebt, als Stärkung ihres Glaubens. Kirche zu sein unter ganz anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als zu Hause: Das ist eine besondere Erfahrung.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag leistet bereits in seiner bisherigen Form mit allen seinen internationalen Gästen und Veranstaltungen einen Beitrag für das Zusammenwachsen der Völker in Europa. Aber: Er kann und soll sich nicht dazu instrumentalisieren lassen, einen europäischen Kirchentag mit dem ausdrücklichen und vorgegebenen Ziel „Stärkung der europäischen Identität“ zu organisieren.

Eine europäische Synode und Kirchentag wären eine sinnvolle Weiterentwicklung

Ich wünsche mir seit langem eine Stärkung des evangelischen „Wir-Gefühls“ im europäischen Kontext. Meine Vorstellungen und Hoffnungen richten sich dabei auf die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in ­Europa (GEKE) mit ihren rund hundert Mitgliedskirchen in dreißig Ländern. Ich meine: Eine Synode (also ein Kirchenparlament) und auch ein Kirchentag der Evangelischen Kirchen Europas wären eine sinnvolle und notwendige Weiterentwicklung der Vollversammlungen der ­GEKE, die gegenwärtig nur in großen ­Abständen stattfinden.

Europa wird immer mehr zum gemeinsamen Lebensort durch Wirtschaft und Euro, durch Gesetze und Verordnungen – vor allem aber als „Friedensort“. Über Handel und ­Wandel hinaus verlangt dieser Ort nach einer Kultur des Friedens, zu der auch die Verkündigung vom „Friede-Fürst“ der Bibel gehört.

Das mag dann auch ein Beitrag sein für die Herausbildung und Stärkung einer europäischen Identität aller Bürger und Bürgerinnen der EU über die Grenzen von Nationalität, Konfession und Weltanschauung hinaus. Evangelische Kirchen und der Kirchentag können ihn aber nur leisten, wenn sie bei ihrer Sache bleiben.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

den Vorschlag von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, einen Europäischen Kirchentag einzurichten, finde ich ganz ausgezeichnet (vgl. Chrismon, Juni 2012).

In der Zeitschrift "Berichte und Kommentare" (b&k) des Arbeitskreises Evang. Erneuerung (aee) 1/2014, Seite 12ff., fordert der Leiter der Evang. Stadtakademie Erlangen, Hans-Jürgen Luibl, Europa eine Seele zu geben.

Angesichts der neonationalen Bewegungen in ganz Europa, die zu den Europawahlen am 25. Mai 2014 auflaufen, ist zu befürchten, dass einem Europäischen Gebilde, das allein auf Verfassung und Rechten gegründet ist, noch kein sicherer Bestand verliehen ist.

Die Menschen in Europa brauchen ein spirituelles Forum, auf dem sich ihr Zweifel, ihr Glauben, ihre Liebe und ihre Hoffnung aussprechen können.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist jetzt schon international. Europa braucht aber auch einen eigenen Kirchentag. Er sollte alle 6 Jahre stattfinden. Wann kann es losgehen? Wer macht den Anfang? Wer macht mit?
Martin Kleineidam
Sprecher des aee und Pfarrer an der Stadtkirche Bayreuth