Dirk von Nayhauß
07.10.2010

Wie stellen Sie sich das Paradies vor?

In der Welt eines kleinen Kindes gibt es noch keine Intrigen, keine Ironien, sie leben in der Vorstellung, ewig Zeit zu haben. Und so ähnlich wird das Paradies im Alten Testament beschrieben. Kinder erleben einen Abglanz dessen - wenn es ihnen gut geht. Wenn sie nicht gequält werden, nicht hungern müssen. Es ist doch ein Skandal, wenn Menschen - und besonders Kinder - unnötiger Qual ausgesetzt werden. Das ist empörend! Leid gibt es per se, jeder stirbt, jeder hat Schmerzen, aber es gibt ein unnötiges Leid, ein vermeidbares, ein gesellschaftlich abstellbares Leid. Das ist ein Impetus meiner Bücher. In meinen Geschichten frage ich mich immer wieder: Wo ist in dieser Wirklichkeit das, was unnötiges Leid produziert?

An welchen Gott glauben Sie?

Ich habe mich immer für das Christentum interessiert. Ich bin ein guter Bibelleser, und ich habe immer viel mit Theologen zu tun gehabt und mit denen diskutiert. Nicht auf Widerlegung hin, das finde ich uninteressant. Mich interessiert vielmehr, was Menschen bewegt, die glauben und glauben können. Ich aber kann es nicht. Ich war in der evangelischen Kirche, bin getauft und konfirmiert. Ich habe das Glaubenkönnen nicht so einfach weggeschoben, aber ich kann es nicht. Je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto mehr habe ich mich davon entfernt. Ich bin während des Studiums in diese existenzialistische Phase hineingekommen und habe über Camus promoviert. Damals wählte ich für mich eine ganz radikale Form der Freiheit und der Entschiedenheit, die sich nicht einem abgeleiteten Gesetz verpflichtet fühlt. Rein theoretisch könnte ich mich moralisch sehr fragwürdig verhalten, weil es für mich keine göttliche Instanz gibt. Aber man kann sich ja auch ohne von Gott kommende Gesetze richtig verhalten. Die Französische Revolution hat einen weltlichen Ersatz geliefert: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Muss man den Tod fürchten?

Ich lebe zum Tod sehr bewusst, ich denke oft an den Tod. Nicht nur einmal am Tag. Eigentlich weiß jeder, dass er sterblich ist, aber allzu leicht verdrängt man das im Alltag und verplempert seine kostbare Zeit. Im vergangenen November habe ich - um es mit einem etwas flapsigen Bild zu sagen - zum ersten Mal den Mann mit der Sense dengeln gehört. Ich habe mit meinem Buch "Halbschatten" eine Lesereise gemacht und auch mit Fieber an jedem Abend gelesen, ich bin wirklich sehr diszipliniert, meine preußische Erziehung. Und dann bin ich plötzlich mit 40 Grad Fieber umgekippt. Ich wurde auf die Notaufnahme gebracht, mit einer massiven Lungenentzündung. Als es mir wieder besser ging, habe ich mich gefragt: Was ist überflüssig in deinem Leben? Mir wurde mal wieder klar, dass ich viel zu viele Sachen aus bloßer Gefälligkeit mache. Ich bin ein freundlicher Mensch und leicht in die Pflicht zu nehmen. Das war noch einmal ein Schub zu einer größeren Intensivierung, weil die Zeit einfach knapp ist. Ich bin fast 70. Da fragt man sich: Wie viel Zeit hast du noch? Welche Projekte, die dir wichtig sind, schaffst du noch? Vor dem Tod selbst habe ich keine Angst, vor dem Sterben ja.

Wann fühlen Sie sich besonders lebendig?

Beim Schreiben, zum Beispiel. Da bin ich in einem Zustand, der etwas Meditatives hat, zugleich ist da ein Moment der Sinnlichkeit. Wenn ich schreibe, und ich sitze bis zu zehn Stunden täglich am Schreibtisch, sehe ich nicht nur abstrakte Zeichen, sondern ich höre mich sprechen, ich habe im Kopf eine permanente Stimme. Das ist angenehm, das hat etwas Musikalisches. Ich höre mich reden, auch in unterschiedlichen Stimmen. Ich habe keine paranoiden Stimmen, sondern höre immer meine Stimme: in unterschiedlichen Tempi, in unterschiedlichen Tonfällen und Dialekten. Diese Stimme sagt mir auch, wenn ein Satz oder ein Kapitel passen. Was ich schreibe, ist sehr durch das Umschreiben bestimmt, das ist eine sehr langwierige Sache. Ich höre immer: "Nein." "Nein." "Nein" - das ist manchmal richtig quälend. Bis ich ein "Ja" h re, dann stimmt es, das ist sehr beglückend. Dieses "Ja" hat auch etwas Geheimnisvolles, das ist etwas sehr Existenzielles, was nur diesem Wahrheitsgehalt - den man selbst hat und den man schwer beschreiben kann - entspricht.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Liebe, die ein Geschenk ist. Ich bin mit meiner Frau seit vierzig Jahren glücklich verheiratet.

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