Endlich Regen: eine Wohltat nach den Jahren der Trockenheit und der Heuschreckenplagen. Joel, der Prophet des Gerichts, hat nicht viel Schriftliches hinterlassen. Aber das, was er schrieb, lässt keinen Zweifel zu - Umweltkatastrophen und blühende Natur kommen ganz allein von Gott. "Ihr Kinder Zions, freuet euch und seid fröhlich im Herrn, eurem Gott, der euch gnädig Regen gibt und euch herabsendet Frühregen und Spätregen wie zuvor, dass die Tennen voll Korn werden und die Keltern Überfluss an Wein und Öl haben sollen. Und ich will euch die Jahre erstatten, deren Ertrag die Heuschrecken, Käfer, Geschmeiß und Raupen gefressen haben, mein großes Heer, das ich unter euch schickte. Ihr sollt genug zu essen haben ..." (Joel 2,23-26).
Sonne und Regen als Lohn aus Gottes Hand, glühende Hitze, Stürme und Insektenbefall als Strafe. Wie die Bibel ist der traditionelle Volksglaube voll von solchen Vorstellungen. Das Sympathische daran: Sie geben dem Gedanken Raum, dass diese Welt sehr viel mehr ist als das, was Menschen erdenken und bewerkstelligen können. Diese Welt ist ein Wunderwerk, mit ihren schönen - und ihren manchmal auch grausamen Seiten. Weniger sympathisch ist die Vorstellung, dass dieser Gott eifersüchtig über das Verhalten der Menschen wacht. Wohlverhalten belohnt er mit üppigen Gaben der Natur, Ungehorsam mit Zerstörung, Hunger, Tod.
Das große theologische Dilemma, das nicht einfach aufzulösen ist: Die Aussagen über den gnädigen oder zornigen "Wettergott" sind in der Bibel so zahlreich und vielfältig, dass sie zu Synonymen für Gottes Gnade und Ungnade geworden sind. Wenn ein Tsunami oder ein Tornado ungezählte Menschenleben sowie Hab und Gut zerstören, dann suchen selbst glaubensdistanzierte Menschen nach religiösen Erklärungen. Ihnen wird intuitiv deutlich: Was ihrem Leben Halt gab und nun weggebrochen ist, verdanken sie nicht sich selbst.
Darf man Gott für einen duftenden Frühling danken?
Manche mögen an Glück, an glückliche Fügungen, an "positive Energien", an ein günstiges Schicksal denken. Christen glauben: Niemand kennt die Menschen so gut und kann sich so gut in sie hineinversetzen wie der, der sie erschaffen hat, Gott. Und der kümmert sich um sie.
Aber bis zum Wetter? Darf man Gott für einen duftenden Frühling, einen strahlenden Sommer, einen üppigen sonnendurchtränkten Herbst danken? Muss man ihm dann nicht auch Schneekatastrophen, eine verhagelte Obstblüte, verregnete Sommerferien und bedrohliche Herbststürme zurechnen?
Wer die Bibel wörtlich liest, muss das wohl. Fundamentalisten wie die sogenannten Kreationisten tun das. Sie vermissen in der modernen wissenschaftlichen Meteorologie ein wesentliches Element, die Vorsehung Gottes. Viele Ereignisse ließen sich nicht erklären, wenn man den Einfluss Gottes ausblende. Die dahinterstehende Logik: Nur wenn eine göttliche Absicht nicht prinzipiell ausgeschlossen wird, lässt sich möglicherweise erklären, warum ein Blitz in ganz bestimmte Häuser, nicht aber in andere einschlägt. Und warum wohl ist der Blitz ausgerechnet neben dem Jurastudenten Martin Luther eingeschlagen (der sich daraufhin der Theologie zuwandte)?
Unwetter als Anlass, sich über seinen Glauben Klaren zu verschaffen
Dennoch spricht wenig für eine "christliche Meteorologie" im Gewand eines unmittelbaren Eingreifens Gottes in die einzelne Wetterlage. Martin Luther hat genau das Richtige getan, als er nach dem Blitzeinschlag sein Leben auf den Prüfstand stellte und sich um die einzig wichtige Frage kümmerte: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?
Joel, der Prophet des Alten Testaments, tat genau das Richtige, als er die Bevölkerung ins Gespräch zog und ihr ins Gewissen redete, moralisch und politisch. Eine Heuschreckenplage in Israel, ein Hagelsturm über bayerisch-katholischen Getreidefeldern, ein Tsunami vor den Küsten Sumatras: Sie alle haben natürliche Ursachen. Auch ein blauer Sommerhimmel über blühenden Bergwiesen und ein Regenschauer nach einem heißen Herbsttag lassen sich wissenschaftlich erklären. Aber niemand hindert Menschen daran, sie zum Anlass zu nehmen, sich über sich selbst und ihren Glauben im Klaren zu werden. Und darüber, was Dankbarkeit bedeutet.
Es muss ja beim Wetter nicht gleich so bieder zugehen wie in einer Anekdote aus dem Schweizer Kanton Waadt. Dort verstaltete eine Gemeinde zur Regenabwehr eine Prozession. Plötzlich hagelte es. Geistesgegenwärtig rief der Pfarrer: "Nun haben wir aber zu stark gebetet."