Grund zu glauben, Grund zu streiten
Wie geht man mit Menschen um, die etwas anderes glauben? In Äthiopien hat man mit dieser Frage Erfahrung. Der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate, Autor des Bestsellers "Manieren", erklärt, wie ein guter Umgang zwischen den Religionen aussehen könnte. Und wie man als Erlöster durch die Straßen geht
07.10.2010

Chrismon: Prinz Asserate, Sie finden es unanständig, fremde Leute beim Abendessen zu fragen, ob sie an Gott glauben. Jetzt sitzen wir hier nur bei zwei Gläsern Wasser. Ist es ungehörig, Sie in diesem Fall nach Ihrem Glauben zu fragen?

Prinz Asfa-Wossen Asserate: Ganz und gar nicht. Vor allem nicht mit uns beiden, wo von vornherein klar ist, dass wir gläubige Menschen sind. Ich habe das in Bezug auf Menschen geäußert, die sich vielleicht bei einer Frage nach dem persönlichen Glauben schämen. Nicht jeder outet sich gern als Nichtgläubiger, zumindest nicht in einem Kreis mit gläubigen Menschen.

Chrismon: Stimmt das denn? Ist es nicht schwieriger, sich als gläubiger Mensch zu outen?

Prinz Asserate: Es ist beides schwierig. Ich habe natürlich auch gemerkt, dass es Leute gibt, für die es schwer ist zu sagen, dass sie an Gott glauben. Noch schwerer ist es für manche zu sagen: Ich bin Christ. Kurz gesagt: Egal ob man glaubt oder nicht glaubt, es ist immer etwas Peinliches dabei, wenn es um den Glauben geht. Ich weiß nicht, warum. Deshalb meine ich, der Glaube sollte nicht Thema eines Tischgesprächs sein. Wissen Sie, die Sache ist mir auch zu wichtig. Ich möchte mit jemandem ernsthaft über den Glauben diskutieren, nicht zwischen Vorspeise und Hauptgericht. Da wird man dem Thema nicht gerecht und zusätzlich leidet möglicherweise die Atmosphäre. Aber das heißt nicht, dass man das Thema grundsätzlich immer vermeiden sollte.

Chrismon: Was kann oder darf man denn in Glaubensdingen überhaupt sagen?

Prinz Asserate: Man muss natürlich das sagen, woran man glaubt. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und wenn Sie mich schon nach meinem Glauben fragen: Ich schäme mich nicht, zu meinem Heiland und Schöpfer zu stehen. Es ist sogar eine Erwartung unseres Schöpfers, dass wir ihn nicht verleugnen. Es ist eine Frage der Zivilcourage, dass wir unseren Glauben bekennen.

Chrismon: Würden Sie im Zweifel eher den Manieren oder Ihrer Glaubensüberzeugung folgen?

Prinz Asserate: Also mein Lieber, da gibt es überhaupt keine Frage! Ich werde selbstverständlich die Religion über die Manieren stellen. Und bitte vergessen Sie nicht: Die Manieren sind im Vergleich zur Religion eine Petitesse! Außerdem ist der Mensch mit den besten Manieren sowieso Jesus Christus.

Chrismon: Hatte Jesus tatsächlich gute Manieren?

Prinz Asserate: Vollkommene. Schon die Frage ist despektierlich. Er hatte vollkommene Manieren, gespeist von vollkommener Liebe. Die so weit ging, dass er sich sogar ans Kreuz schlagen ließ, das ist doch genau das, was ich unter Manieren verstehe: den anderen Menschen ins Zentrum zu stellen und nicht sich selbst. Also die Frage ist eigentlich Quatsch.

Chrismon: Jesus hat ja Händler aus dem Tempel getrieben, hat geschimpft und gedroht. Gute Manieren?

Prinz Asserate: Selbstverständlich! Jeder hat das Recht, auch mal böse zu werden, wenn er sieht, dass Unrecht geschieht.

Chrismon: Ist das Christentum von seiner Botschaft her nicht zu radikal, um mit guten Manieren vereinbar zu sein? Franz von Assisi zum Beispiel wurde nach seiner Bekehrung ein Radikaler, der mit den Konventionen seiner Zeit brach.

Prinz Asserate: Schauen Sie, da liegt unsere größte Schwäche. Wir denken, dass die Menschen mit den besten Manieren aus einer Oberschicht kommen müssen und die gesellschaftlichen Normen bedienen. Das ist absolut absurd. Es hat nichts damit zu tun, welcher Klasse man angehört. Ganz im Gegenteil. Es geht auch nicht um die Äußerlichkeiten: wie man sich anzieht, dass man weiß, wie man Fisch isst, mit welchem Messer man was schneidet und derlei mehr. Wenn es um Manieren geht, dann geht es um die innere Haltung. Und die hat bei Franziskus nach seiner Bekehrung wahrscheinlich besser gestimmt als vorher. Wir reden hier über etwas, was sich mit einem Begriff fassen lässt: Demut. Ein fabelhaftes Wort!

»Lesen Sie die Bibel. Da ist alles drin, was Ihnen Anmut und Demut vermitteln kann.«

Chrismon: Es gibt ja viele Benimm-Bücher. Wie bekommt man aber eine innere Haltung, die von dieser Demut zeugt?

Prinz Asserate: Das ist sehr, sehr leicht. Lesen Sie die Bibel. Da ist alles drin, was Ihnen Anmut und Demut vermitteln kann.

Chrismon: Wie signalisiere ich eigentlich höflich, dass mir eine religiöse Frage zu weit geht?

Prinz Asserate: Sagen Sie einfach: "Wir beide haben hier wohl keine gemeinsame Basis. Es ist besser, dass wir dieses Thema jetzt beenden."

Chrismon: Darf man in einem Gespräch mit Menschen einer anderen Religion sagen: "Ich glaube, deine Religion, deine Weltanschauung ist ein Irrweg"?

Prinz Asserate: Niemals, niemals, das können wir nicht sagen. Wir müssen es umgekehrt sagen: "Für mich gibt es keinen anderen Weg als den, den ich eingeschlagen habe. Keinen anderen Weg als Jesus Christus."

Chrismon: Für Christen gibt es ja einen Missionsauftrag. Wie ist der vereinbar mit dem interreligiösen Dialog?

Prinz Asserate: Das wird alles überboten durch den wichtigsten Auftrag, den uns unser Heiland gegeben hat: Das ist der Auftrag und das Gebot der Liebe. Erst durch die Liebe kommt man zu einem interreligiösen Dialog, der diesen Namen verdient. Vielleicht ist es ja gerade das Gebot der Liebe, das manche Menschen dazu bringt, andere zu missionieren. Sicher: Dass da in der Vergangenheit auch noch andere Ideen mitspielten, zum Beispiel dass Kreuz und Schwert oft gleichzeitig auftraten, das dürfen wir nicht vergessen. Erst kam der Missionar, dann der Händler, dann die Soldaten. So entstanden Kolonien. Trotzdem darf man nicht übersehen, dass es immer Menschen gab und gibt, die vom Auftrag der Liebe beseelt sind. Es wäre schon ein Fehler, wenn wir glaubten, als getaufte Menschen schon Gerettete zu sein, und wir dann anderen diese Möglichkeit der Rettung nicht plausibel machen wollten.

Chrismon: Zurückhaltung wäre also unchristlich?

Prinz Asserate: Das Christentum ist ja nicht nur eine kontemplative Religion, wo man sich zurückzieht und die Welt alleine lässt, nein. Das Christentum ist auch eine kämpfende Religion. Eine, bei der man um den Frieden kämpfen muss. Eine Religion der Liebe ­ aber das ist was Aktives! Da will man den anderen auch beschützen vor seinem Untergang. Deshalb ist es eigentlich an uns, einem Menschen von unserem eigenen Weg zu erzählen und zu sagen: Das ist der richtige Weg. Ob wir immer die Zivilcourage haben, das zu tun, ist eine andere Sache. Aber das ist auch ein christlich akzeptables Phänomen, denn wir gehen immer von der Schwäche aus ­ Gott ist in den Schwachen mächtig.

Chrismon: Wie kann es zwischen den Religionen und Weltanschauungen einen sinnvollen Dialog über Toleranz geben?

Prinz Asserate: Das Wort Toleranz ist leider wie viele andere wunderschöne Worte, wie Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrecht, so missbraucht worden, dass es schon einen gewissen Hautgout hat, wenn man von Toleranz redet. Deshalb schlage ich ein anderes Wort vor: Duldung. Denn ich muss es erdulden, wenn einer anders denkt, anders glaubt als ich. Die falsche Toleranz ist die, bei der es mir ganz egal ist, was der andere glaubt und letztendlich auch was ich selbst glaube. Deshalb ist es zum Beispiel auch absolut falsch, dem Islam mit einer Egal-Haltung, ich würde sagen: mit Gottlosigkeit, zu begegnen. Überzeugte Christen und Juden sind für einen Muslim noch ehrbare Menschen, ehrbare Gegner. Aber ein gottloser Mensch ist im Auge eines Muslims kein Mensch, sondern ein Tier. Interreligiöser Dialog muss immer mit fester eigener Position geführt werden, auf Augenhöhe, aber auch mit der Erinnerung an eine gemeinsame Basis, wie sie zum Beispiel die Religionen des Buches, Juden, Christen, Muslime, haben.

Chrismon: Wann hat man die Pflicht, sich einzumischen, auch in die Angelegenheiten einer anderen Religion, zum Beispiel wenn es um die Behandlung von Frauen geht?

Prinz Asserate: Das ist ein sehr schwieriges Thema. Alles, was mit Frauen oder Kindern zu tun hat, das sind Traditionen und weniger eine Frage der Religion. Wir müssen schon unsere Stimme erheben. Dort, wo zum Beispiel die rechtliche Gleichheit von Männern und Frauen bisher nicht verwirklicht ist. Aber: Man darf nicht glauben, dass sich das von heute auf morgen verändern lässt. Es geht ja hier hauptsächlich um die Frage, wie Muslime ihre Frauen behandeln. Das ist aber nicht so schwarz-weiß, wie wir das glauben. Es gibt auch graue Schattierungen, die wir auch mal akzeptieren müssen.

Chrismon: Gerade im Islam ist es schwer zwischen Religion, Tradition und politischer Überzeugung zu differenzieren. Wie kann da ein sinnvolles Gespräch mit Muslimen aussehen?

Prinz Asserate: Es ist Wahnsinn zu glauben, dass es eine Trennung zwischen Religion und Politik im Islam geben kann. Vielleicht sollten wir gar nicht versuchen, auf eine solche Trennung auch im Islam zu pochen. Wir sollten erst mal über die Gemeinsamkeiten reden, die wir haben. Beiseite legen, was uns trennt, und zurückkehren zu unserem Ursprung. Lasst uns einfach mal die Frage stellen: Wer ist Gott? Wer ist dein Gott? Wer ist mein Gott? Ist das nicht derselbe? Der einzige, der unsichtbare, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, auch der Gott Ismaels, der Gott Moses'. Lassen Sie uns diese Basis mit den Muslimen haben. Wir sagen: Durch meine Tradition, durch meine Geburt, durch die Tatsache, welchem Kulturkreis ich angehöre, komme ich zu meinem Gott. Ich als Christ komme einzig und allein durch deinen Propheten Isa zu Gott, Isa, der für mich mein Heiland Jesus Christus ist, so wie du durch deinen Propheten Mohammed zu Allah kommst. Was trennt uns? Lasst uns darüber reden. Es gibt in eurer Tradition gewisse Sachen, die euch sagen, dass jeder ein Muslim sein muss, interessanterweise gibt es das auch bei uns Christen. Wenn wir es nur wahrnehmen würden. "Geht hinaus und macht zu Jüngern alle Völker", steht im Neuen Testament. Also nicht allzu verschieden von den Muslimen. Nur sind wir zu dem Verständnis gekommen, dass man das vielleicht ganz anders machen sollte. Wir haben es ja jahrhundertelang sehr brutal getan. Wir dürfen kein Hehl draus machen, dass wir in die Welt gegangen sind und Menschen, die nicht christlichen Glaubens waren, gezwungen haben Christen zu werden.

Chrismon: Und dann? Wie geht das Gespräch mit den Muslimen weiter?

Prinz Asserate: Dann müssen wir fragen: Wollen wir zusammen leben oder soll demnächst ein großer Krieg kommen und dann wieder das Schwert entscheiden? Wir haben ja sonst keine Alternativen. Lasst uns mit den Gemeinsamkeiten zufrieden sein.

»Äthiopien könnte ein Vorbild sein. Es ist das Land für den Frieden der Religionen, vielleicht für den Weltfrieden.«

Chrismon: In Ihrem Heimatland Äthiopien leben Juden, Christen und Muslime schon lange zusammen.

Prinz Asserate: Wir sind nicht nur eines der ältesten christlichen Länder der Welt ­ was wenige wissen. Wir haben auch die älteste islamische Gemeinde der Welt außerhalb Mekkas und Medinas. Wir waren diejenigen, die die ersten Flüchtlinge des Islam aufgenommen haben. Deshalb hat uns der Prophet gesegnet und deshalb sind wir auch offiziell das einzige Land der Welt und das einzige Volk der Welt, das vom heiligen Krieg, vom Dschihad, exkulpiert ist. Jedenfalls nach Mohammed. Leider Gottes sind diese Worte des Propheten oft genug von seinen Nachfolgern ignoriert worden und wir sind mehrmals vom Islam attackiert worden. Die letzte große Schlacht war im Jahre 1541, wo wir dann mit Hilfe der Portugiesen ein großes islamisches Heer vernichtet haben. Don Christophorus da Gama ist mit 800 Portugiesen und modernsten Musketen nach Äthiopien gekommen, und zusammen mit dem kaiserlich-äthiopischen Heer haben wir die islamischen Eindringlinge vernichtet.

Chrismon: Das klingt ja nicht unbedingt wie ein Vorbild, wie man den Kampf der Kulturen vermeiden kann...

Prinz Asserate: Danach begannen aber über 500 Jahre, in denen wir nicht nur in friedlicher Koexistenz, sondern auch in Brüderlichkeit mit unseren muslimischen Nachbarn gelebt haben. Äthiopien könnte meiner Ansicht nach deshalb tatsächlich ein Vorbild sein. Genau wegen unserer Vergangenheit, wegen der Tatsache, dass wir innerhalb unseres Volkes, unseres Landes alle drei großen monotheistischen Religionen vereinen: Christentum, Islam und Judentum. Deshalb ist es das Land für den Frieden der Religionen, vielleicht für den Weltfrieden. Der Dialog zwischen den Religionen müsste in Addis Abeba stattfinden.

Chrismon: Was sind die schlimmsten Fettnäpfchen, in die man zwischen den Religionen treten kann? Gerade wenn man sich mit der anderen Religion nicht auskennt.

Prinz Asserate: Das ist schon der erste Fettnapf. Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen mehr wissen! Wir müssen uns auch an den Schulen darum bemühen, dass man im Religions- oder Sozialkundeunterricht über die wichtigsten Religionen etwas mitbekommt. Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wenn Sie keine Ahnung haben, warum zum Beispiel der andere fünf Mal am Tag betet, warum er die Schuhe auszieht, wenn er die Moschee betritt, dann werden Sie alles andere auch nicht verstehen. Und das gilt auch umgekehrt für die Koranschulen: dass etwas vermittelt wird vom Christentum, der älteren Schwesterreligion. Überall begegnet man doch Aussagen wie diesen: Der Islam macht das, die Christen sind so und die Juden tun dieses. Oder dass die Christen irgendwie Kannibalen sind, weil sie jeden Sonntag vom Leib und Blut Christi nehmen. All diese Ignoranz und Vorurteile! Vieles, was wir tun, tun wir aus Unwissenheit.

Chrismon: Was sollte denn ein moderner, nicht religiöser Mensch wissen? Zum Beispiel über das Christentum.

Prinz Asserate: Dass es ganz einfach eine Religion ist, die die Liebe über alles stellt. Mehr braucht er eigentlich nicht zu wissen. Alles andere kann er erfragen, zum Beispiel: Warum schlägt der mir nicht auch auf die Nase, wenn ich ihn schlage?

Chrismon: Und über den Islam?

Prinz Asserate: Islam ist Hingabe. Das ist es, was das Wort sagt.

Chrismon: Und über das Judentum?

Prinz Asserate: Es gibt eine wunderschöne Stelle in der Karfreitagsliturgie: "Und jetzt beten wir für unsere Brüder und Schwestern, die Juden, zu denen unser Gott als Erstes sprach." Das sollte man wissen. Und dass Jesus aus diesem Volk stammt.

»Ein Christ muss wissen, dass er mit erhobenem Haupt durch die Straßen gehen kann.«

Chrismon: Was sollte ein Christ über seine Religion wissen?

Prinz Asserate: Vor allem muss er mal wissen, dass er mit erhobenem Haupt durch die Straßen gehen kann und dass er sagen kann: Ich bin ein Erlöster. Es ist sehr interessant, was Nietzsche gesagt hat: Das Problem mit den Christen sei, dass sie überhaupt nicht erlöst aussehen. Das heißt, auch in unserem Gestus, in unserem Auftreten müssen wir als Triumphatoren durch die Straßen gehen und sagen können: Schaut mich mal an! Ich, der Erlöste. Das wäre mal ein Anfang. Aber wie viele von uns Christen haben diesen Glauben, dieses triumphale Wissen, dass uns nichts geschehen kann? Dass ich nicht perfekt sein muss, sondern dass alles für mich schon getan wurde.

Chrismon: Noch eine Detailfrage: Kamen die Heiligen Drei Könige tatsächlich über Äthiopien nach Bethlehem?

Prinz Asserate: Ich als Äthiopier muss natürlich ja sagen. Zumindest für einen erheben wir sogar den Anspruch, dass er ein Äthiopier war -­ für Caspar. Und natürlich stimmt das so!

 

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