chrismon: Frau Künast, stellen Sie sich vor, Sie sollten an einer Expedition teilnehmen. Gibt es jemanden, dem Sie sich bedingungslos anvertrauen würden?
Renate Künast: Ja, Herrn Fuchs zum Beispiel. Der hat den Ruf, besonnen und systematisch vorzugehen und zu wissen, was er selber kann. Zum Beispiel was eine der wichtigsten Stärken einer Führungsperson ist ein Team bilden.
chrismon: Muss man besser sein als die anderen, wenn man führen will?
Arved Fuchs: Nein. Man muss die Kompetenzen anderer bündeln und richtig einsetzen. Wenn ich glaube, ich kann das alles selbst, dann bin ich der Steppenwolf, dann bin ich allein.
Künast: Bei Ihnen leuchtet das ja sofort ein. Sie brauchen die verschiedenen Künste und Wissenschaften, sonst könnten Sie doch nicht mal die Menge des Gepäcks ins richtige Verhältnis zu der zur Verfügung stehenden Kraft bringen. In der Politik ist das nicht so offensichtlich. Da glauben viele, dass jeder für sich nur munter drauflosreden müsste. Aber es kommt auf die Mischung an. Die, die aufs große Ganze sehen, und andere, die sich in die Details fräsen. Und einen, der motivieren und entscheiden kann. Du brauchst einen Spielmacher und ein Team.
chrismon: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie den Wunsch zur Führung haben?
Fuchs: Das ergibt sich. Zuerst muss man lernen, sich selbst zu führen, sich zu disziplinieren, anderen zuzuhören, ihren Input abzuwägen. Das ist ein langjähriger Prozess, er dauert eigentlich ein ganzes Leben.
Künast: Können Sie sich nicht an eine erste Situation erinnern, wo Sie die Führungsrolle angenommen haben?
Fuchs: Für mich war das Wichtigste die Entscheidung für meine Berufung. Ich bin damals auf Handelsschiffen zur See gefahren und stand vor der Frage, ob ich bei der bürgerlichen Karriere bleibe oder doch lieber meine Träume verwirkliche.
chrismon: War das schon die bewusste Entscheidung, Führungskraft zu werden?
Fuchs: Nein!
Künast(lacht): Meine These ist, dass man das nie bewusst entscheidet. In der Politik wird das immer überschätzt. Man sitzt ja auch nicht irgendwo auf dem Trockenen und will auf einmal eine tolle Schwimmerin werden. Man muss schon schwimmen! Man muss Erfahrungen mit dem Wasser machen.
chrismon: Und wann haben Sie sich ins Wasser gewagt?
Künast: In meinem Studium, im ersten Semester. Ich seh mich da noch sitzen, im Seminar über gewerkschaftliche Jugendarbeit. Ich bin ja eigentlich schüchtern. Die anderen diskutierten mit lauter Fremdwörtern aneinander vorbei. Ich hatte den Gedanken für eine Struktur, und während ich noch überlegte, wie ich mich jetzt besonders gut ausdrücke, meldete sich jemand und sagte genau das. Er wurde gefeiert, und ich hab beschlossen: Das passiert dir nie wieder! In dieser Situation habe ich akzeptiert, dass ich Einfluss nehmen will, dass ich nicht einfach etwas stehen lassen will, wenn ich es falsch finde. Dass ich kämpfen will. Und wenn du damit anfängst, musst du es auch durchziehen. Da kannst du nicht am nächsten Morgen sagen: Ach nee, das ist mir jetzt zu mühsam.
chrismon: Herr Fuchs, anders als Frau Künast können Sie sich Ihre Mitstreiter selbst wählen. Macht das die Sache einfacher?
Fuchs: Nicht unbedingt. Acht Wochen mit dem Hundeschlitten unterwegs sein das ist nicht nur toll. Das ist pickelharter Alltag. Und die Leute, die sich bewerben, können selbst nicht einschätzen, wie sie sich in Krisen verhalten.
Der Expeditionsleiter: Die Neuen lade ich zum Segeln auf der Ostsee ein. Dabei erfährt man viel über einen Menschen
Künast: Wie erkennen Sie, dass jemand solchen Strapazen gewachsen ist?
Fuchs: Nicht im Gespräch. Die Neuen lade ich zum Beispiel zum Segeln auf der Ostsee ein. Dabei erfährt man sehr viel über einen Menschen. Wie gibt er sich? Wie kommunikativ ist er? Sagt er, wenn ihm etwas nicht gefällt? Am schlimmsten ist es, wenn Leute alles in sich hineinfressen und nicht konfliktbereit sind. Dann kommt's irgendwann zum Knall.
chrismon: Ist das unter Ihrer Führung schon mal passiert?
Fuchs: Ich wollte 1991 mit einem zwölfköpfigen Team die Nordostpassage durchsegeln. Ich war euphorisch, weil wir von den sowjetischen Behörden die Erlaubnis hatten. Aber der Teamgeist ging verloren. Wir konnten uns nicht auf Liegezeiten einigen, nicht darauf, wann wir ablegen. Ich trat mal energisch, mal vermittelnd auf nichts half. Erst später begriff ich, dass ich einen Kardinalfehler begangen hatte: Ich war davon ausgegangen, dass wir alle Freunde waren und alle dasselbe wollten. Ich hatte die Sensibilität des Teams aus den Augen verloren. Das Team hat bei Weitem nicht so effektiv funktioniert, wie es hätte funktionieren können. Daraus habe ich gelernt. Jetzt rede ich im Vorwege immer Klartext.
Chrismon: Frau Künast, wie treffen Sie Entscheidungen?
Künast: Indem ich sie bespreche. Wenn man auf einem Weg ist, muss man sich zwischendurch fragen, wie man ans Ziel kommt. Da brauche ich jemanden, der sagt: Sie haben was vergessen. Oder: Das wird teuer. Dann schlafe ich eine Nacht drüber und die Mitarbeiter auch. Die Leute müssen spüren, dass es gewünscht ist, dass sie sich einbringen.
Fuchs: Es gibt aber immer Situationen, da kann man nicht eine Nacht drüber schlafen. Bis dahin ist das Schiff untergegangen. Da muss man haltmachen. Aber auch dann muss man hinterher drüber reden, ob die Entscheidung richtig war. Wer Kritik und Streit zulässt, der gewinnt Vertrauen.
Fuchs: Vertrauensverlust tut weh
Chrismon: Was ist, wenn man das Vertrauen verliert?
Fuchs: Vertrauensverlust tut weh. Aber ich muss akzeptieren, dass es im Leben immer wieder so kommt. Sonst müsste ich Eremit werden...
Künast: ...und darauf vertrauen, dass Ihnen mal jemand was zu essen vorbeibringt!
chrismon: Wie schafft man Vertrauen in der Politik? Da geht es ja auch oft um eigene Karrieren und Interessen.
Künast: Das ist eine extrem schwierige Geschichte. Zweierlei ist wichtig: nicht alles persönlich zu nehmen und sich sein Privatleben zu erhalten. Man darf sich nicht in seinen gesamten sozialen Kontakten abhängig machen vom Beruf. Aber es geht ja nicht nur um Politiker untereinander, sondern auch darum, ob einem die Menschen zutrauen, sich um ein Thema zu kümmern. Die Leute merken einfach, ob man es kann oder nicht. Diese Art des Vertrauens lässt sich kaum beeinflussen.
chrismon: Bei den Grünen war man früher sehr misstrauisch gegenüber der Macht. Jetzt nicht mehr?
Künast: Ja, früher gab es die Rotation, die Grünen wollten keine Berufspolitiker. Aber es zeigte sich, dass man in zwei Jahren keine Schlagkraft entwickeln kann. Wenn man ein Thema voranbringen will, dann braucht das seine Zeit. Wenn zu oft personelle Wechsel stattfinden, dann haben die anderen die Macht. Und du hast die Ohnmacht.
chrismon: Herr Fuchs, wünschen Sie sich manchmal ein Machtwort von den Grünen - in Sachen Umweltschutz?
Fuchs: Der Klimawandel geht viel schneller, als es die Öffentlichkeit realisiert. Natürlich wünsche ich mir ein Machtwort, das Problem muss zur Chefsache werden. Aber es ist so gravierend, dass alle politischen Parteien umdenken müssen.
chrismon: Aber die Menschen wollen ihren Job, ihren Wohlstand...
Künast: Ja, das ist auch eine Führungsaufgabe: an so einem Thema dranzubleiben, in guten wie in schlechten Zeiten.
Fuchs: Womöglich müssen Sie in eine Richtung führen, die Sie auch Stimmen kostet.
Künast: Ja, man muss den Mut haben, heikle Dinge anzusprechen. Wenn die deutsche Automobilindustrie es einfach nicht packt, den Benzinverbrauch zu senken, müssen wir die Grenzen festlegen...
chrismon: Sind Krisen eine Chance für führungsstarke Menschen? Sie sind mitten in der BSE-Krise Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin geworden. Und das in einem Ministerium, das sehr stark von Lobbyarbeit beeinflusst war...
Künast: ...ist!
chrismon: Wie haben Sie Fuß gefasst?
Künast: Als ich entscheiden musste, ob ich Ministerin werden will, ging es für mich erst mal nur um die Frage: Kann ich für dieses Thema brennen? Dann musste ich die Sache systematisch angehen: Wer wird Staatssekretär? Wer wird Büroleiter? Wer macht Pressearbeit? Ich fand es immer lustig, wenn die Leute sagten: Die kann ja keine Kuh melken! Ich hatte gar nicht den Ehrgeiz, eine Kuh zu melken! Ich brauchte Mitarbeiter mit Fachwissen. Man fängt an, sich einen kleinen Kreis aufzubauen aus Menschen, die immer direkt Kontakt haben und anrufen können. Das ist Führung: eine Gruppe aufbauen. Das war auch meine Methode, als es um die BSE-Krise ging. Wir haben herausgefunden, wo die Fachleute zu dem Thema sitzen, dann sind wir als Gruppe in die Schweiz gefahren und haben uns informiert. Nicht bei der Lobby, sondern bei den Experten. Und viele Lobbyisten stellten plötzlich fest, dass ihr Druck sinnlos geworden war. Ich hatte mich sachkundig gemacht und konnte jetzt sagen: So ist es. Punkt. Die Kunst besteht darin, so etwas auch bei Themen wie dem Klimawandel zu schaffen, Themen, die schleichend kommen, die man nicht riechen oder schmecken kann.
Die Politikerin: Egal, welcher Führungsstil - irgendwann sagst du, was passiert
chrismon: Kamen die Mitarbeiter damit zurecht? Der Apparat stand Ihnen ja wohl eher kritisch gegenüber.
Künast: Nicht alle waren so, sonst hätte es auch nicht funktioniert. Mit zehn gegen 4000, das geht gar nicht. Aber die Krise hat im Ministerium vielleicht die Art verändert, über Dinge zu reden. Und dass Verbraucher nun eine Rolle spielten, war ein Paradigmenwechsel. Natürlich ging nicht alles glatt. Und egal, welchen Führungsstil man hat irgendwann muss man wissen: Ich bin die Chefin. Ich sage, was passiert.
Fuchs: Genau, auch wenn es den anderen nicht passt. Man muss sein Team auch mit unbequemen Wahrheiten konfrontieren. Und man muss vorausdenken: Wir können schließlich nicht erst bei Helgoland darüber nachdenken, ob wir links- oder rechtsrum fahren.
chrismon: Immer im Voraus denken rennt man da nicht wie ein Hamster im Rad?
Fuchs: Wenn man sich wie ein Hamster fühlt, macht man was ganz falsch. Führung bringt Spaß! Klar bläst der Wind einem auch mal ins Gesicht. Aber für mich überwiegen immer die positiven Eindrücke zum Beispiel dass ich Erkenntnisse gewinne. Nehmen Sie die Klimaproblematik: Nirgends wird die so deutlich wie in der Arktis. Es ist kein Spaß, das zu sehen. Aber man lernt was daraus. Ich seh es wie Alexis Sorbas in dem Film: "Leben heißt, den Gürtel festschnallen und nach Schwierigkeiten Ausschau halten."
CHRISMON: Klingt aber auch ganz schön anstrengend! Brauchen Sie da nicht manchmal eine Rückzugsmöglichkeit?
Fuchs: Auf Expeditionen ist das schwierig. Man ist 24 Stunden im Fokus. Es gibt keine eigene Kabine, kein eigenes Zelt. Man kann sich höchstens in seine Gedankenwelt zurückziehen. Aber die anderen merken, dass man sich abschließt. Unterwegs ist nur Lesen eine Rückzugsmöglichkeit. Das wird akzeptiert. Jeder weiß: Der liest ein Buch, will dabei nicht unbedingt gestört werden, ist aber auch nicht schlecht drauf.
Künast: Ja, man ist kolossal unter Beobachtung! Ich hab erst als Ministerin gemerkt, wie wichtig es ist, mal anonym zu sein. Anonymität kann ein Rückzugsort sein. Aber die Anstrengung, beobachtet zu werden, gehört zum Job. Das ist in Ordnung. Gut, wenn ich dann abends in den Garten gehen kann. Ich bin eine Pflanzenfreundin. Ich könnte stundenlang zugucken, wie sich der Farn langsam aufrollt!