Peter Jülich, Christian Ditsch / epd-bild [Montage]
Friedensethik
Absage an die Friedensbewegung?
Die evangelische Kirche hat eine neue Friedensdenkschrift erarbeitet. Sie ist noch nicht veröffentlicht, aber wie es aussieht, wird darin von der Friedensbewegung nicht mehr viel zu finden sein
Lena Uphoff
12.09.2025
5Min

Am 10. November möchte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihre neue Friedensdenkschrift "Welt in Unordnung – Gerechter Friede im Blick" vorstellen. Der Text ist noch nicht zu lesen. Nun hat das Kirchenamt der EKD den Podcast "Frieden denken" aufgesetzt, der laut Pressemitteilung die Veröffentlichung "vorbereiten und begleiten soll". In der ersten Folge sprechen die EKD-Ratsvorsitzende und Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs und der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg miteinander über die Denkschrift. Sie haben sie also offenbar schon gelesen.

Wenn das, worauf sich die beiden im Podcast einigen können, auch der Konsens der Denkschrift ist, dann wird die Friedensbewegung mit der neuen Denkschrift wohl äußert unzufrieden sein.

Die prominentesten pazifistischen Stimmen in der evangelischen Kirche sind die Theologin Margot Käßmann und Friedrich Kramer, der EKD-Friedensbeauftragte und Bischof der Mitteldeutschen Landeskirche. Die beiden warnten immer wieder vor Waffenlieferungen an die Ukraine, stehen der Aufrüstung und Stärkung der Bundeswehr kritisch gegenüber und sehen sich in der Tradition der Friedensbewegung der 1980er Jahre.

Die bisherige Friedensdenkschrift der evangelischen Kirche stammt von 2007, zudem gibt es einen Text der EKD-Synode von 2019. In diesem Text "Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens" wird betont, dass die Gewaltfreiheit an erste Stelle zu stehen habe. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 fragten sich viele in der Kirche, ob diese Position noch angemessen ist. Die neue Denkschrift ist auch eine Reaktion auf diese veränderte Sicherheitslage in Europa.

Lesen Sie hier eine Diskussion mit den Theologen Margot Käßmann und Karsten Wächter am Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine

Kirsten Fehrs vertrat bisher eher moderate, vermittelnde Positionen, man konnte den Eindruck haben, sie versuche, die Friedensbewegten innerhalb der Kirche mitzunehmen. Im Podcast bezeichnet sie sich als "Dialogikerin". Militärbischof Bernhard Felmberg gehört sicher nicht zu den Friedensbewegten in der Kirche und versteht sich in seinem Amt auch als Fürsprecher der Bundeswehrsoldatinnen und Soldaten. Insofern verspricht die Paarung des Podcasts eine leichte Kontroverse und gleichzeitig den Willen zur Verständigung.

Allerdings: Wer sich den Podcast anhört, dürfte überrascht sein. Von Kontroverse ist nichts zu hören. Zwar verweist Fehrs auf die Bonner Hofgartendemonstrationen von 1983 gegen den Nato-Doppelbeschluss als gemeinsames Erinnerungsmoment der Friedensbewegung, und Felmberg betont, dort nicht gewesen zu sein. Aber zu mehr als dieser unterschiedlichen Rückbesinnung auf ein historisches Ereignis reicht es nicht.

Hat die Politik die Position der Kirche verändert?

Der Podcast hinterlässt den Eindruck, dass Fehrs und Felmberg einer Meinung sind und die neue Friedensdenkschrift eine endgültige Absage an die Friedensbewegten innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland sein wird. Das ist durchaus überraschend, denn bisher hieß es, dass die Denkschrift maßgeblich von der EKD-Friedenswerkstatt erarbeitet wurde, zu der auch Friedrich Kramer als Friedensbeauftragter gehört.

Fehrs und Felmberg betonen, dass sie natürlich für Frieden sind – wie könnten sie es als evangelische Theologen auch nicht? Doch der Frieden in Europa sei im Moment bedroht und müsse notfalls mit Waffengewalt verteidigt werden. Der Militärbischof sagt wörtlich, dass die Verteidigung der Freiheit und Demokratie eines seiner Lebensthemen sei: "Einerseits ganz klar nie wieder Krieg, aber ich möchte auch ganz klar die Freiheit und Demokratie nicht nur für mich, sondern für die Menschen, die hier leben, verteidigt wissen."

Was ist mit den Argumenten der Friedensbewegung?

Fehrs widerspricht ihm nicht. Zwar betont sie, dass sie die Pazifisten nicht in eine Ecke drängen und als "naiv" bezeichnen möchte. Aber fügt sogleich hinzu, dass wir eine "völlig andere Situation als in den 80er Jahren" haben. Das lässt sich als Absage an genau die Tradition zu verstehen, in die sich viele der Friedensbewegten innerhalb der Kirche auch heute noch stellen.

Weitere Argumente der Friedensbewegung kommen nicht vor. Es fällt kein kritisches Wort zur Nato, es gibt keine Kritik an deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine und auch die Ratsvorsitzende sagt ganz klar, dass "der Schutz des Lebens" nicht mehr gewährleistet werden könne, mit einer "grundpazifistische Haltung", die völlig auf Waffen verzichte. Felmberg geht sogar so weit, dass er betont, dass man sich nicht mehr auf die großen internationalen Institutionen verlassen könne. Bei der letzten Friedensdenkschrift von 2007 sei man "davon ausgegangen, dass internationale Prozesse stark und mächtig sind. Heute sind wir anderer Überzeugung." Das muss man als Kritik an der UNO verstehen. Fehrs widerspricht ihm nicht.

Beide betonen, dass Frieden natürlich an erster Stelle stehe, dass es aber eben darum gehe, zu bestimmen, was Frieden ist. Hierfür gibt es in der evangelischen Diskussion den Begriff des gerechten Friedens. Auch in der neuen Denkschrift soll dieser im Zentrum stehen. Das wird im Podcast deutlich.

Allerdings ist auch hier kein Entgegenkommen in Richtung Friedensbewegung zu vernehmen. Ein gerechter Frieden sei nur dort möglich, heißt es im Podcast, wo es keine Gewalt gebe. Das ist nicht anders zu verstehen, als dass auch in der Ukraine ein Waffenstillstand alleine für einen echten Frieden nicht reichen werde. Auch hier also eine Absage an einen von der Friedensbewegung immer wieder geforderten schnellen Waffenstillstand. "Was die Ukraine möchte" sei ein "gerechter Frieden", so Felmberg. Ein Diktatfrieden, der "dafür sorgt, dass die Waffen schweigen, aber dass sozusagen damit die Freiheit erstirbt", sei eben kein gerechter Frieden.

Es fällt kein kritisches Wort zu ukrainischen Positionen, die beiden sind solidarisch mit der dortigen Regierung. So lässt sich das verstehen. Während es 2019 also noch hieß, dass "Gewaltfreiheit an erster Stelle zu stehen habe", haben sich die Parameter geändert. Nun habe, so Fehrs, "der Schutz vor Gewalt ein relatives Prä". Hinter dieser etwas komplizierten Formulierung steht genau der Paradigmenwechsel, den Felmberg auch betont: Freiheit und Frieden sind das Höchste, aber sie müssen eben auch verteidigt werden. Zur Not mit Waffengewalt. Ob das dann wirklich auch so in der Friedensdenkschrift stehen wird, können wir noch nicht wissen. In zwei Wochen wird es eine weitere Podcastfolge geben. Die EKD hat es auf jeden Fall geschafft, die Spannung auf die neue Schrift zu erhöhen.

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