Frieden wagen, am Frieden arbeiten, sich für den Frieden starkmachen – daran arbeiten wir hier vor Ort. Ich bin eine von vier deutschen Pastorinnen in der dänischen Folkekirke.
Dorothea Lindow
Dass ich hier arbeite, liegt auch am Versailler Friedensvertrag: 1864 hatte Dänemark gegen Preußen den Krieg auf den Düppeler Schanzen verloren. Der Landstrich hier wurde deutsch, genannt Nordschleswig. Im Ersten Weltkrieg mussten deshalb einige der damals hier lebenden Dänen im deutschen Heer kämpfen. Der Friedensvertrag von Versailles kehrte die Verhältnisse um. Nordschleswig wurde dänisch. Die Abstimmung über den Grenzverlauf erfolgte 1920. Als Zugeständnis an die hier lebenden Deutschen wurde vereinbart, dass es nun vier Stellen in der dänischen Kirche gibt für Pastoren und Pastorinnen, die ein Glaubensleben in deutscher Sprache möglich machen. Zusätzlich entstand 1923 die Nordschleswigsche Gemeinde, eine Freigemeinde, mit im Moment fünf weiteren deutschen Pfarrstellen. Nächstes Jahr wird 100-jähriges Jubiläum gefeiert.
Im Zweiten Weltkrieg wurde Dänemark von den Nationalsozialisten besetzt. Am 5. Mai 1945 erfolgte die Befreiung. Gerade wurde der Tag der Befreiung wieder begangen. Das alles ist hier nicht bloß Geschichte, sondern präsent in der täglichen Arbeit als deutsche Pastorin der dänischen Folkekirche. Unsere Arbeit ist immer auch Friedensarbeit. Manches Mal feiern wir deutsch-dänische Gottesdienste, aber es geht nicht immer und nicht überall. Traumata werden auch vererbt, bis heute sind Verletzungen und Kränkungen zu spüren. Miteinander reden, sich um Verständnis bemühen, gemeinsam Abendmahl einnehmen - vieles geht, manchmal stolpere ich über Unerwartetes.
Der Krieg in der Ukraine bestimmt den Alltag
Und jetzt bestimmt seit etwa drei Monaten der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine überall auch den Alltag. Menschen aus der Ukraine kommen hierher. Wir treffen aufeinander, im Alltag, in der Landwirtschaft, aber auch in der Sprachschule: Kulturen, Religionen, vorgefasste Meinungen, Vorurteile und Interesse begegnen einander. Miteinander lernen wir Dänisch, die Sprache und Kultur des Landes, in dem wir wohnen. Und wir erleben Frieden.
Jemand aus der deutschen Minderheit stellte gerade seinen Garten zur Verfügung, lud ein zum Open-Air-Gospelkonzert, organisierte mit Freiwilligen Kaffeetrinken für 250 Menschen. Ich war eingeladen. Wir hörten und sangen gemeinsam Gospel, die Gott loben und den Frieden herbeisehnen. Wir feierten miteinander: Deutsche und Dänen und etwa 70 Menschen aus der Ukraine, hauptsächlich Mütter und Kinder. Sie umarmten mich, als sie ein Stofftier geschenkt bekamen. Ich sah ihre Tränen, als der dänische Gospelchor ein ukrainisches Lied sang, und ich spürte meine Tränen, als eine Ukrainerin sich ans Mikrofon stellte und sang: "Wish you were here."
Der dänische Gospelchor und seine Musik bewegten uns. Beim letzten Lied tanzten eine Ukrainerin und ein in Dänemark lebender Deutscher miteinander. Seine Familie stammt aus Polen.
Frieden für einen langen Moment!